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Goofys Wandlung oder: Quoaaak!

ÜBER "DIE FROSCHKÖNIGIN"



Storycode: I TL 1468-AP
Originaltitel: Topolino e le rane saltatrici
Deutscher Titel: Die Froschkönigin
Seitenanzahl: 57 (3-reihig)
Autor & Bleistiftzeichner: Romano Scarpa
Tuschezeichner: Sandro Del Conte
Erstveröffentlichung: 15. Januar 1984 (Italien, Topolino 1468-1469)
Deutsche Veröffentlichungen: Lustiges Taschenbuch 149, LTB Maus-Edition 2 (in beiden um die Titelseite des zweiten Teils gekürzt)

Romano Scarpa war ohne Zweifel einer der prägendsten Zeichner und Autoren des (vorwiegend italienischen) LTB-Kosmos. Bei allen bisherigen Künstlerwahlen in diesem Forum schaffte er es unter die Top 3. Und dass die Beliebtheit des Venezianers auch über ein Jahrzehnt nach seinem Tod weiterhin ungebrochen ist, zeigt ein Blick auf die von den Fans zusammengestellte fünfbändige Fan-Edition: Mit sechs Comics (darunter mit "Die Jagd auf Karte Nr. 1" und v. a. "Olympisches Fieber" auch zwei sehr lange Geschichten) ist Scarpa der klare Gewinner der Abstimmung. Im Folgenden soll es hier um eine Geschichte gehen, die es zwar nicht in die Fan-Edition geschafft hat, aber in meinen Augen einen Höhepunkt von Scarpas zweiter Karrierehälfte darstellt.

In dieser Phase wurden seine Geschichten etwas geerdeter und die Bilder ruhiger, entspannter, ohne dabei die einzigartige Scarpa-Expressivität (die sich besonders in Mimik und Gestik zeigt) zu verlieren. Die Verehrung für sein großes Vorbild Floyd Gottfredson hat ihn dabei nie verlassen, ähnlich wie schon beim Atömchen-Zyklus bauen auch die Geschichten mit Maxi Smart junior (alias "Bruno") aufeinander auf. Gottfredson wird übrigens auch durch den Auftritt von Käptn Dobermann die Ehre erwiesen (u. a. bekannt aus "Micky Maus bei der Fremdenlegion").


Etwas, das Scarpa von vielen anderen Maus-Autoren unterscheidet, ist die Tatsache, dass Micky und Goofy nicht ständig aufeinander hocken. Im Atömchen-Zyklus spielt Goofy eine Nebenrolle: Nur am Anfang von "In der vierten Dimension" und "Der Kaiser von Quacktanien" ist er zu sehen, de facto hat Atömchen seinen Platz als Mickys Sidekick übernommen. Kurzauftritte von Freunden (in dieser Geschichte sind es – neben Käptn Dobermann – Minnie, Rudi und Klarabella) machen sein Entenhausen sympathischer und lebensechter. Und 1975 erfand Scarpa wiederum einen Partner für Micky, der erneut kleiner war als der sowieso nicht sonderlich große Mäuserich: Bruto (englisch Ellroy), den Adoptivsohn von Gancio (englisch Ellsworth). Leider ist die Einführungsgeschichte "Topolino e il rampollo di Gancio" lange nicht auf Deutsch erschienen, sodass Übersetzer den folgenschweren Fehler machten und beide Vögel kurzerhand gleichsetzten bzw. "Maxi Smart" nannten. Der aus den amerikanischen Sonntagsseiten stammende Ellsworth (den Scarpa schon in den Sechzigern verwendete, u. a. auch im Team mit Atömchen) ist als "Weltenbummler" (Zitat Micky) und "Großmaul" (Zitat Kater Karlo) ständig unterwegs und oft in unangenehmen Lagen, weshalb er seinen Sohn in Mickys Obhut übergibt: Auftakt zu einer Reihe grandioser Geschichten, von denen einige immer noch auf eine deutschsprachige Veröffentlichung warten. Bereits auf Deutsch genießen dürfen wir Geschichten wie "Wolfsmond", "Sabotage in Pumpistan", "Je lauter, desto schneller", "Das große Vorbild", "Sand gesucht", "Die außergewöhnliche Stravigari", "Das See-Ungeheuer" und "Der Götze aus dem Eis". In "Das See-Ungeheuer" (LTB 161, ebenfalls sehr empfehlenswert!) werden auch bereits Motive verwendet, die in "Die Froschkönigin" wiederum eine Rolle spielen sollen. Man vergleiche nur den verwunschenen Patschneß-See mit dem finsteren Nebelmoor. Zudem sind in beiden Comics Kater Karlo und Trudi an einer Tierentführung beteiligt.

"Die Froschkönigin" schließt direkt an "Königin Zenobia" an, welches jedoch lange Zeit im deutschen Sprachraum unveröffentlicht war – siehe meinen obigen Kommentar zu Ehapas kruder Veröffentlichungspolitik (die im Übrigen bis heute anhält). Erst 2012 zu Goofys Geburtstag wurden beide Comics gemeinsam im zweiten Band der Maus-Edition zusammengeführt – und das passt: obwohl Maxi Mickys Sidekick ist, spielt Goofy eine Hauptrolle und wächst geradezu über sich hinaus. Das liegt in erster Linie an seinen Gefühlen für Zenobia…

Die Geschichte von Zenobia, der exotischen Schönheit, ist eigentlich genauso interessant wie die von Maxi: Bei ihrer Einführung ist sie noch darauf erpicht, Königin von ganz Afrika zu werden (mit Goofy als ihrem Prinzen!); der Plan misslingt jedoch und sie dankt ab. Stattdessen verlässt sie ihr kleines persisches Reich (das in Afrika liegt!) und fliegt zusammen mit Micky, Goofy und Maxi nach Entenhausen, wo sie von nun an wohnen will. Genau hier setzt "Die Froschkönigin" an: Die Geschichte von dem Afrika-Abenteuer hat in den Medien die Runde gemacht (was übrigens sehr schön auf der ersten Seite visualisiert wird, die nur einen Textkasten und vier verschiedene Zeitungen zeigt).
Micky und Maxi sind damit nun "in the public interest" (wie man so schön sagt). Hier kann man gut die Charakterisierung der beiden beobachten: Während Micky von all den Fernseh-, Radio- und Zeitungsreportern rund ums Haus mehr als genervt ist und auch Zenobia vor dem Medienandrang schützen möchte, scheint Maxi die Bewunderung zumindest ein Stück weit zu genießen ("Weißt du, dass ich gekränkt bin, weil man dich öfter in den Zeitungen erwähnt hat als mich? So was schmerzt!" – "Quatsch!") und auch den finanziellen Angeboten offener zu sein. (Dass Maxi es mit der Moral nicht ganz so genau nimmt wie Micky, war übrigens auch schon in "Die außergewöhnliche Stravigari" zu sehen.)
Zenobia züchtet inzwischen mit Goofys Hilfe Frösche für Sprungwettbewerbe und scheint mit Quassel einen echten Gewinnerfrosch in petto zu haben. Und tatsächlich versetzt Quassel die Zuschauermenge beim großen Froschwetthüpfen in ehrfürchtiges Staunen – und die Frau des Preisrichters in Entsetzen!

Leider wird diese freundliche Atmosphäre getrübt, denn die Fernsehberichte haben auch zwei altbekannte Ganoven auf den Plan gerufen. Die Seelenverwandtschaft von Kater Karlo und seiner Trudi wird hier ganz nebenbei wunderbar dadurch veranschaulicht, dass beide unabhängig voneinander im Gefängnis dieselbe Idee haben und ihrem Komplizen (bzw. Karlos Vetter) Kralle zukommen lassen. Der Plan lautet, Zenobia zu entführen und ihr das Geheimnis zu entlocken, wo sich ihr kleines Reich "mit all seinen Schätzen" (Zitat Kralle) genau befindet. (Kralle, das kriminelle Genie, ist übrigens auch eine Scarpa-Erfindung, genauso wie Karlos "bessere Hälfte" Trudi.)
Während der großen Willkommensparty schließlich geschieht es: Kralle landet mit seinem Nebelschrauber im Garten, lockt Zenobia aus dem Haus und entführt sowohl sie als auch ihren Frosch Quassel, ohne dass der Rest der Partygesellschaft etwas mitbekommt. Als allerdings die Frösche ins Haus stürmen, ist das Chaos perfekt. Kommissar Hunter hat natürlich sofort Kater Karlo und Trudi im Verdacht, die ihren Freigang unbedingt nutzen wollten, um die Party zu besuchen. Nur – wie Trudi so schön sagt: "Was hätten wir denn tun können, wo Sie uns dauernd gefolgt sind?"
Die Spurensicherung tappt im Dunkeln. Maxi fliegt zu Goofy (der der Party ferngeblieben war, weil er sich unter "lauter feinen Leuten" nicht wohlfühlt) und überbringt ihm die schreckliche Nachricht… und Goofy reagiert. Und wie! Nach anfänglicher Verzweiflung übernimmt er selbstbewusst die Kontrolle und denkt sich einen wahnwitzigen Plan aus, wie man Kralles Versteck finden und Zenobia befreien kann. Micky, Maxi, Hunter und sogar der Gefängnisdirektor ("Es handelt sich um eine Anordnung von Goof… äh, Kommissar Hunter!") werden zu Erfüllungsgehilfen degradiert und staunen nicht schlecht angesichts von Goofys Wandlung. Der Rest der Geschichte läuft ab wie ein Uhrwerk: Goofys Plan (welcher dem Leser zunächst vorenthalten wird) funktioniert wie geschmiert und Zenobia und ihr Frosch werden aus der Entführung befreit – auch wenn die Fahrt durch das unheimliche Moor nicht ohne Tücken ist und Quassel um ein Haar als Froschsuppe geendet wäre…

Wie man es von Scarpa gewohnt ist, gibt es abseits der reinen Handlung Gags und kleine Schmunzler am laufenden Band. Besonders köstlich finde ich immer wieder die Gesichtsreaktionen Mickys und Maxis auf Goofys verspulte Logik (in "Königin Zenobia" sogar noch häufiger vorhanden). Erwähnenswert ist auch die Stelle, wo wir Micky beim Rasieren vorm Spiegel sehen: einmalig im Disney-Kosmos? Zumindest eine Rarität (und ein kleiner Seitenhieb in Richtung der angeblichen "Perfektheit" Mickys – gekoppelt mit der Szene zwei Seiten später!). Zenobia präsentiert sich als starke, emanzipierte Frau, die sich sogar in Gefangenschaft ihre Würde behält und damit sogar Trudi beeindruckt ("Schade, dass sie so abweisend ist! Die hätte ich gern zur Freundin gehabt!") – ebenfalls recht ungewöhnlich für einen Disney-Comic, wo Frauen ja (leider) allzu oft nur als Klischee dienen und ziemlich eindimensional bzw. negativ dargestellt werden.


Wenn es so etwas wie ein Hauptmotiv der Geschichte gibt, dann ist es sicher die Beziehung zwischen Goofy und Zenobia. Obwohl Goofy sich einerseits geniert, mit dem Ruhm bzw. der Aufmerksamkeit umzugehen (übrigens auch in "Hinter den Kulissen" ein Thema, mehr dazu weiter unten), ist ihm Zenobia derart wichtig, dass er als Reaktion auf die Hiobsbotschaft ihrer Entführung quasi ungeahnte Kräfte freisetzt, die sowohl Maxi ("Unglaublich! Liebe und Leidenschaft müssen seinen Verstand geschärft haben!") als auch seinen ältesten Freund Micky ("So was! Goofy hat das Kommando übernommen!") völlig überraschen. Auch wenn der deutsche Titel "Die Froschkönigin" wohl in erster Linie eine durch die Übersetzer hinzugefügte humorvolle Anspielung auf das bekannte Märchen ist (der italienische Originaltitel heißt übersetzt einfach "Micky und der Springfrosch"), kann man doch ein paar Parallelen ziehen, denn Goofys Wandlung vom etwas einfältigen Gutmenschen zum kurzzeitigen Genie und "Sonderkommandoleiter" hat ja auch etwas von "Frosch wird Prinz". Die Sequenz auf Seite 290, wo Zenobia Goofy küsst und dieser daraufhin einen Freuden-Froschsprung vollführt, scheint diese Deutung zumindest ansatzweise zu unterstützen.

Heutzutage ist es nicht mehr unüblich, Goofy als zwar eigenwillige, aber durchweg positive Figur zu zeigen. Wenn man jedoch in die allerersten LTBs blickt, begegnet man oftmals einem apathischen, trotteligen und manchmal geradezu erschreckend dummen Typen, sodass ich mich manchmal frage, wie Micky so etwas auf die Dauer überhaupt aushält. Das hat sich erst langsam im Lauf der Zeit geändert: Serien wie "Mittwochs bei Goofy", die Asgardland-Saga und "Kampf der Galaxien" basieren auf einer Umkehrung des Kräfteverhältnisses, indem Goofy zum Helden wird und Micky zu seinem Juniorpartner. Und der große Scarpa-Fan Casty hat in jüngeren Jahren mit "Das mysteriöse Metall" und "Goofy und der Glücksstrahl" zwei Geschichten geschrieben, in denen Mickys Freund ähnlich über sich hinauswächst wie bei "Die Froschkönigin" bzw. tiefsinnige Weisheit verbreitet. Klar, man sollte es nicht übertreiben (sonst ist es irgendwann nichts Besonderes mehr), aber bis jetzt hat dieses Motiv nicht an Wirkung verloren.

Nach ihrem in jeder Hinsicht beeindruckenden Auftritt in diesem großartigen Doppel war die Figur Zenobias in Scarpas Augen offensichtlich noch nicht verbraucht; schon ein Jahr später war das Quartett Micky-Maxi-Goofy-Zenobia schon wieder im Einsatz – in "Hinter den Kulissen" (Donald Duck 419) scheint die Exkönigin ihre Berufung als Schauspielerin gefunden zu haben, doch jemand verübt andauernd Anschläge auf sie! Komischerweise heißt Zenobia in der Übersetzung hier "Gloria", ein Fehler, der auch beim Nachdruck in LTB Spezial 68 nicht behoben wurde (Ehapa mal wieder). Tatsächlich handelt es sich bei Gloria um eine andere Figur, die jedoch auch nicht oft verwendet wurde. Immerhin bietet sich die Chance für ein nettes Wortspiel, als Goofy sagt, er wolle ihr "Gorilla" (i. e. Leibwächter/Beschützer) sein. Wie aus dieser Bemerkung hervorgeht und wie man im (verwirrenden) Anfang auch gut sehen kann, ist Goofy weiterhin in Hochform, auch wenn der Effekt nicht mehr ganz so stark wirkt. (Ein kleines lustiges Detail am Rande: Bei ihrem Debüt hat Zenobia, durchaus passend angesichts ihrer persischen Abstammung, schwarze Haare. In "Die Froschkönigin" hat sich ihre Haarfarbe zu blond geändert, und in "Hinter den Kulissen" sind ihre Haare rot!)

Scarpa hat sowohl Zenobia als auch Maxi Smart noch einige weitere Male verwendet. Maxis wohl bekanntester Auftritt an der Seite von Micky in Teilen von "Olympisches Fieber" wurde ja schon erwähnt; Scarpas letzte selbstgeschriebene Werke für Topolino waren bis auf "Die Jagd nach Karte Nr. 1" (mit den Ducks) allesamt lange Geschichten im Strip-Format, in denen Micky zusammen mit Goofy, Maxi u. a. auftrat: "Topolino e l’enigma di Brigaboom" (ebenfalls mit Zenobia), "Topolino e la banda dello sternuto", "Topolino e gli uomini vespa" (wieder mit Zenobia) und "Topolino in: Ciao Minnotchka" (erneut mit Zenobia). Von diesen ist leider bislang keine einzige auf Deutsch erschienen!
Doch während Maxi immer wieder mal eine kleine Renaissance erleben darf (am eindrücklichsten sicher, noch zu Scarpas Lebzeiten, in Castys "Der verschollene Erfinder"), ist Zenobia nur noch in einer "All-in"-Jubiläumsgeschichte und in einem 12-Seiter, in dem wirklich jeder aus dem Mausiversum kurz zu sehen ist, aufgetaucht (angesichts ihrer Beziehung eigentlich eine Frechheit). Die anderen im Inducks gelisteten Auftritte sind Kostümrollen in anderen Universen – einmal bei Enrico Faccini ("Das Gespenst aus dem Alpmahrtal", LTB Halloween 3) als Schweizer Wirtstochter im 19. Jahrhundert und als "eiskalte Königin" in der Sci-Fi-Serie "Star Top" (ab LTB Galaxy 3), wobei Bruno Enna bei letzterem gewissermaßen eine Neuinterpretation von "Königin Zenobia" gewagt hat. An Comics, die den Faden von Scarpas Zenobia-Erzählungen wieder aufgreifen und vielleicht auch der Beziehung zwischen ihr und Goofy noch etwas Neues abgewinnen, traut sich aber anscheinend niemand heran. Nach der Lektüre von "Die Froschkönigin" überrascht das aber auch nicht wirklich, denn Romano Scarpa hat die Messlatte einfach verdammt hoch gelegt.

Beim Nachdruck wurde die Übersetzung an manchen Stellen dezent überarbeitet, kleine Kolorierungsfehler sind allerdings nicht behoben worden. Nicht ganz verständlich für mich: Obwohl die Geschichte bereits 2001 mit einer neuen Farbgebung (Zenobia jetzt mit rötlichen Haaren… :P) in Griechenland erschienen ist, verwendet auch der Nachdruck in Maus-Edition 2 die Uralt-Kolorierung (und enthält auch nicht die weiterhin fehlende Titelseite von Teil 2).

"Die Froschkönigin" gehört zu meinen absoluten Lieblingen aus 50 Jahren LTB, ich denke aber, dass auch andere Leser mit der sympathischen, warmherzigen und spannend erzählten sowie wunderschön gezeichneten Geschichte viel anfangen können.


Von Spectaculus (November 2018)

Zuletzt aktualisiert: 01.05.2023, 14:27
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