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Dabei sein ist nicht alles

ÜBER "GOOPHYSSEUS, DER SUPER-ATHLET"


Storycode: I CWD 45-A
Originaltitel: Pippo e i parastinchi di Olympia
Deutscher Titel: Goophysseus, der Super-Athlet
Seitenanzahl: 128 (3-reihig)
Autor & Zeichner: Romano Scarpa
Erstveröffentlichung: Juli 1972
(Italien, I Classici di Walt Disney (prima serie) 45)
Deutsche Veröffentlichungen: Lustiges Taschenbuch 97

Die grandiose Olympia-Geschichte von Romano Scarpa? Damit kann doch eigentlich nur sein 250 Seiten umfassendes Werk "Seoul 1988 – Olympisches Fieber" aus LTB 130 gemeint sein. Der venezianische Ausnahmekünstler zeichnete jedoch bereits 16 Jahre zuvor eine Olympia-Story von ähnlich hoher Qualität: "Goophysseus, der Superathlet" erschien 1972 zu den Olympischen Spielen in München, wurde bei uns aber erst 1984 in LTB 97 veröffentlicht.

Doch dazu später mehr, zunächst einmal die Handlung, grob umrissen: Auf einer Griechenland-Reise geraten Micky und Goofy in eine Felsspalte, wo sie einen geradezu sensationellen Fund machen. Sie entdecken dort die Schienbeinschützer eines berühmten Athleten der antiken Olympischen Spiele – Goophysseus genannt. Aufgrund der Namensähnlichkeit kommt es nicht überraschend, dass Goofy schnell als Nachfahre dieses Ausnahmesportlers ausgemacht wird. Mit den Schienbeinschützern ist er plötzlich imstande, außergewöhnliche Leistungen in sämtlichen Disziplinen zu vollbringen, und soll deshalb Entenhausen bei den Olympischen Spielen in München vertreten. Das bleibt aber nicht unbemerkt: Kater Karlo will von Goofys neu erlangtem Ruhm profitieren, muss dafür aber erst mal Micky aus dem Weg räumen. Eine hinterlistige Intrige soll die Freundschaft der beiden zerbrechen...

Drei sind einer zu viel. Aber gut für eine Geschichte. Als Beispiele für dieses erzählerische Konzept, auch "love triangle" genannt, können wir nicht nur Goethes "Werther" oder zahlreiche Hollywood-Filme anführen, sondern auch einfach diejenigen Disney-Comics, in denen sich Donald und Gustav um die Gunst von Daisy streiten. Im Maus-Universum kommt diese Konstellation eigentlich eher selten vor, jedoch konstruiert Scarpa in der hier vorliegenden Geschichte eine Dreiecksbeziehung zwischen Micky, Goofy und Karlo. Schließlich könnte man schon sagen, dass Karlo hier Micky den Freund ausspannt, wenngleich nicht auf Liebe, sondern auf Freundschaft bezogen. Oder? Würde der Comic in einem Literaturwissenschafts-Seminar besprochen werden, so würde – da bin ich mir sicher – mindestens ein Teilnehmer den Comic in eine homoerotische Richtung interpretieren. Anhaltspunkte dafür könnten etwa die Wortwahl Mickys im nebenstehenden Panel sein ("geschiedene Leute") oder natürlich auch die Wiedersehensszene zum Schluss, in der Goofy seinen Freund mit Küssen übersät. Nein, so weit müssen wir sicherlich nicht gehen, aber trotzdem sollte festgehalten werden, dass zwischen Micky und Goofy eine innige Freundschaft besteht, die zwar nicht ohne Meinungsverschiedenheiten auskommt, insgesamt aber weit weniger krisengeschüttelt ist als so manch andere Beziehung. Im Gegenteil, Goofys Treue zu Micky zieht sich durch die Comic-Historie hindurch, er zweifelt selbst dann nicht an der Integrität seines Freundes, wenn ihm alle anderen den Rücken gekehrt haben (ein bekanntes Beispiel ist hier "Das doppelte Geheimnis des Schwarzen Phantoms"). Gerade vor diesem Hintergrund ist "Goophysseus, der Super-Athlet" so interessant, denn es handelt sich um einen der wenigen Comics, in der diese Freundschaft ernsthaft auf die Probe gestellt wird. Dadurch gewinnt die Geschichte nicht nur an Tiefe, sondern Scarpa arbeitet auch auf sehr schöne Weise heraus, dass Micky und Goofy aufeinander angewiesen sind. Micky schlurft nach dem Bruch mit Goofy enttäuscht von dannen, während Goofy selbst feststellen muss, dass seine Stärke vielleicht doch weniger von den Schienbeinschützern abhängt als von seinem Selbstvertrauen, das wiederum an sein Verhältnis zu Micky gekoppelt ist.

Insofern könnte man durchaus sagen, dass Karlo Micky durch sein Handeln einen noch größeren Schaden zufügt, als wenn er es auf Minnie abgesehen hat, wie es ja insbesondere in den frühen Werken Floyd Gottfredsons der Fall war. Und obwohl Karlo natürlich ein finanzielles Interesse daran hat, die Freundschaft von Micky und Goofy zu zerschlagen, ist es sicherlich auch die Schadenfreude, die ihm Antrieb gibt. Immer wieder wird herausgestellt, dass Karlo nicht nur nach Reichtum, sondern auch nach Macht strebt. Das wird etwa in der amüsanten Schach-Szene deutlich, vor allem aber auch an der Stelle, als er sich genüsslich vorstellt, Goofy als Marionette zu bewegen und Micky mit einer Fliegenklatsche zu zerquetschen. Karlo fungiert also ganz klassisch als Ganove, darüber hinaus wird ihm jedoch auch die durchaus ungewohnte Rolle als Nebenbuhler zuteil, der sich auf plumpe Art und Weise an Goofy anbiedert. Diesen Spagat kann man einerseits interessant finden, andererseits aber auch der Geschichte zum Vorwurf machen. Denn dass sich gerade Karlo zwischen Micky und Goofy schieben kann, ist für den Leser nicht so leicht nachvollziehbar. Immerhin ist Karlo seit Jahr und Tag Mickys Erzfeind, sodass es eher unrealistisch erscheint, dass Goofy (trotz seiner Naivität) so schnell auf seine Machenschaften hereinfällt. Vielleicht wäre es also doch besser gewesen, wenn Scarpa hier eine neue Figur eingeführt hätte, deren Absichten nicht ganz so klar erkennbar sind. Das hätte der Geschichte, die doch in einem erwarteten Rahmen verläuft, wohl auch etwas mehr Überraschungsmomente beschert.

Das ist nicht der einzige Kritikpunkt, den man anbringen könnte, auch die Exposition ist ein bisschen hölzern geraten und zumindest mir fiel es anfangs schwer, mich mit den übernatürlichen Begebenheiten (etwa die weißen Tauben, die Micky und Goofy in die Höhle führen) zu arrangieren. Das sind aber Dinge, die vor allem dann ins Gewicht fallen, wenn man die Geschichte als Ganzes aus der Vogelperspektive betrachtet. Scarpa ist jedoch ein Künstler der kleinen, aber besonderen Momente, was sich darin zeigt, dass er sich immer wieder Zeit und Raum für viele kleine Gags nimmt. Beispielhaft für diese etwas mäandernde Erzählweise steht die handlungsirrelevante, aber eben umso humorvollere Episode mit dem völlig durchgeknallten Freiherrn von Semmel. (Übrigens, da muss ich jetzt einen Einschub machen, trinken Micky und Goofy im Auto jenes Freiherrn ein Glas Bier. Der Genuss von Alkohol ist in Disney-Comics ein doch eher seltenes Ereignis, aber man befindet sich ja schließlich in München.) Jedenfalls schafft es Scarpa, seine Geschichte mit mehreren ikonischen Szenen zu bebildern, die einfach im Kopf hängen bleiben. Besonders eingebrannt hat sich bei mir, wie Karlo Micky im Flugzeug einen Kopfhörer aufsetzt, um ungestört mit Goofy reden zu können (siehe obenstehendes Panel). Oder auch, wie ein mit reichlich Bartstoppeln versehener Goofy durch die Straßen von München irrt, um seinen verlorenen Freund wiederzufinden. Und natürlich kurz darauf das bereits erwähnte, umwerfend schöne Wiedersehen, in der Goofy regelrecht aus dem Wasser spritzt und Micky ein paar dicke Schmatzer auf die Wangen drückt. Diese Atmosphäre, diese Leidenschaft wird auch durch die großartigen Zeichnungen transportiert. In dieser Phase sprühen Scarpas Figuren nur so vor Energie, sodass vor allem Goofys Wandlung zum Ausnahmeathleten in überzeugender Weise dargestellt wird. Wenngleich man also durchaus die eine oder andere Schwachstelle in der Geschichte ausmachen kann, verdeutlichen gerade die oben genannten Szenen, dass man ihr eines auf keinen Fall absprechen kann: Herz.

Insgesamt ist der Epilog zwar eine nette, aber doch eher unspektakuläre Zugabe.
Schade ist allerdings, dass der Comic in seiner ursprünglichen Veröffentlichung sechs Seiten mehr umfasste. Gestrichen wurden die erste sowie die letzte Seite, außerdem noch zwei in der anfänglichen Höhlenszene sowie zwei weitere, die einen Blick aus dem Flugzeug über München bieten. Für die Kürzungen ist nicht Ehapa selbst verantwortlich, sondern sie wurden aus dem zeitgleich in Italien erschienenen 91. Band der Reihe "I Classici di Walt Disney" übernommen, der anlässlich der Olympischen Spiele 1984 in Los Angeles herauskam. Hier ist die Story in eine von Giancarlo Gatti gezeichnete Rahmengeschichte eingebettet, zudem gibt es noch einen 19-seitigen Epilog von Scarpa selbst, den er für diese Wiederveröffentlichung anfertigte. Der Übergang in diesen Epilog ist im LTB nicht markiert, lässt sich aber sehr schön an der Veränderung in Scarpas Zeichenstil nachvollziehen, wobei sein 1972er-Stil deutlich frischer und dynamischer wirkt. Die Hauptgeschichte hätte es jedoch definitiv verdient, noch einmal in vollständiger Fassung (und vielleicht dann auch gleich in neuer Übersetzung) veröffentlicht zu werden! Vielleicht ja eines Tages im LTB Sommerspiele, wenn es diese Reihe jetzt sowieso schon gibt.

Wobei, eigentlich ist der Bezug zu Olympia nicht ganz so wichtig, denn bei genauerer Betrachtung stellt man fest, dass die Spiele nur der Aufhänger für die Geschichte sind. Zwar wird nebenbei die zunehmende Kommerzialisierung kritisch thematisiert, der Sport selbst steht – und das ist eine Parallele zu "Olympisches Fieber" – aber nicht im Mittelpunkt des Geschehens. Tatsächlich wird sogar auf keiner einzigen Seite ein Wettkampf der Spiele gezeigt, gemeinsam mit Goofy verpasst auch der Leser die Spiele und bekommt nur noch kurz die Schlussfeier im Fernsehen zu sehen. Und stellt fest, dass es Wichtigeres gibt. Angesichts dessen, dass Goofy 1932 erfunden wurde und die Geschichte also zu seinem 40-jährigen Geburtstag erschien, könnte man "Goophysseus, der Super-Athlet" also eigentlich mehr als Jubiläums- denn als Olympia-Story bezeichnen. Das wird auch auf den letzten Seiten dieses einfach sehr schönen Comics auf eindrucksvolle Weise unterstrichen. Ein Sieg der Freundschaft.



Von 313er (August 2016)

Zuletzt aktualisiert: 01.05.2023, 14:39
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