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ÜBER "EIN TEUFLISCHES TÄUSCHUNGSMANÖVER"



Storycode: D/D 2003-029
Originaltitel: Fatal Distraction
Deutscher Titel: Ein teuflisches Täuschungsmanöver
Seitenanzahl: 45 (3-reihig)
Autor: Byron Erickson
Zeichner: Massimo Fecchi
Erstveröffentlichung: November 2004
Deutsche Veröffentlichungen: Lustiges Taschenbuch 331, LTB English Edition 2, LTB Maus-Edition 7

Byron Erickson. Der Name ist für viele Fans von guten Micky-Comics immer noch ein rotes Tuch, wird er doch für den Verfall der Figur Micky Maus im Lustigen Taschenbuch und Tiefschläge à la "Angriff der Riesenpinguine", "Traumkämpfer", "Der Dampfschiffdämon", "Duell in den Wolken", "Der fingierte Auftrag" oder "Der Mann mit den zwei Gehirnen" verantwortlich gemacht. Doch was bei aller Kritik oftmals übersehen wird: Erickson selbst ist ein hervorragender Autor.

Zu Mickys 75. Geburtstag ist ein (weitgehend empfehlenswerter) Jubiläumsband erschienen, in dem ein von Byron Erickson und David Gerstein geschriebener und von Peter Höpfner übersetzter Artikel abgedruckt wurde. Erickson geht dort kurz auf die Probleme ein, die Micky seit den späten Sechzigern zumindest im Heftbereich hatte. Die von Paul Murry geprägte Version der Figur hatte sich immer mehr zum schlecht gelaunten Besserwisser entwickelt, der in langweiligen Plots gegen stereotype Schurken kämpfte. Als großer Fan der Maus läutete Erickson eine Art "Reset" ein, der Micky wieder interessanter und zu einer positiven Identifikationsfigur machen sollte. Dieser Wandel wurde optisch durch eine Rückkehr zu der kurzen Hose verdeutlicht, die Micky in seinen Anfangsjahren immer trug. Während die Reaktionen auf das Micky-Maus-Magazin bezogen (wo Micky in der Lesergunst so weit gefallen war, dass man bereits mit dem Gedanken gespielt hatte, ihn völlig aus dem Heft zu entfernen) recht positiv ausfielen, war das Echo auf die LTB-Comics unter den ernsthaften LTB-Fans fast einhellig negativ. Bemängelt wurden: überhandnehmende Brutalität, immer abstrusere/kindische Plots mit groben Logikfehlern, falsche Charakterisierung diverser Figuren (Minnie wirkt oft eher wie Mickys Kindermädchen oder Mutter denn wie seine Freundin, seine sonstigen "Freunde" lassen ihn ständig wie eine heiße Kartoffel fallen), die anscheinend bewusst einfach und detaillos-leer gehaltenen Zeichnungen (nachdem gerade Joaquín und Xavi kurz zuvor bei "Ein Fall für Micky" ja noch deutlich ihre Fähigkeiten gezeigt hatten). Und über allem stand TAFKAMM: The Artist Formerly Known As Mickey Mouse (in Anlehnung an Prince – RIP). Eine Figur, die nur noch wenig mit dem klassischen Abenteurer und Detektiv zu tun hatte; stattdessen dauernd unüberlegtes und unverantwortliches Verhalten zur Schau stellte und mit kindischem Unfug nervte.


Nun, das mag alles stimmen, dennoch besteht ein so großer Unterschied zwischen Ericksons Micky und dem von seinen "Untergebenen" inszenierten Kasper, dass man davon ausgehen kann, dass diese Extrem-Infantilisierung nicht im Sinne des Chefredakteurs gewesen sein kann. Außerdem war im LTB, anders als im MM-M, eine lange Tradition hervorragender italienischer Micky-Comics (Romano Scarpa, Massimo De Vita, Giorgio Cavazzano, Giovan Battista Carpi, Giulio Chierchini, Sergio Asteriti, Giuseppe Dalla Santa u.a.) vorhanden, die bereits vor der "Hosenreform" unter der Reduzierung des Maus-Anteils im LTB gelitten hatte. Anders als die italienischen Comics werden die dänischen ja exklusiv fürs LTB produziert; insofern ist es wenig überraschend, dass D-Codes meistens ungeachtet ihrer Qualität veröffentlicht werden, während man bei den in Italien bereits veröffentlichten auf einen großen Fundus zugreifen kann. Und wenn nur noch Platz für einen Comic mit Micky pro LTB ist, dann haben die besseren I-Codes leider sehr oft den Kürzeren gezogen. Für mich persönlich fallen gerade deswegen die schlimmsten Tiefschläge in den Bereich der Bände zwischen 270 und 300. Und wenn ich noch ältere Geschichten wie "Der verfluchte Frack", "Übelriechende Geschäfte" oder "Terror in Entenhausen" anschaue, dann wird doch deutlich, dass der dänische Micky eine Reform dringend nötig hatte. Wenn ich ehrlich bin, muss ich auch deswegen zugeben, dass ich den "Kurzhosenmicky" nicht durchweg in die Tonne kloppen kann. Das mag nostalgische Gründe haben, aber genauso wenig wie mir alle italienischen Micky-Comics gefallen (in neuerer Zeit fielen mir die in LTB 493, 494 und 498 unangenehm auf), finde ich auch nicht alle dänischen Kurzhosencomics schlecht. Trotzdem bin ich den Schreibern und Unterstützern des Protestbriefs sowie Ehapa-Chefredakteur Peter Höpfner natürlich extrem dankbar, denn ohne die Reduzierung und schlussendliche Einstellung des D-Code-Mickys im LTB wären wir im deutschen Sprachraum wohl nie in den Genuss der modernen Meisterwerke von Casty u.a. gekommen.

Ich denke aber auch, dass es weniger Grund zum Meckern gegeben hätte, wenn mehr dänische Geschichten so gut gewesen wären wie die von Erickson selbst geschriebenen. Interessant ist in dem Zusammenhang, dass er damals eigentlich nur Jubiläumsgeschichten zum LTB beigesteuert hat, hier aber eine Ausnahme gemacht hat. Da der Code (welcher den Zeitpunkt des Auftrags angibt) auffällig nahe an der Veröffentlichung des "offenen Briefes" ist, liegt die Frage nahe, ob "Ein teuflisches Täuschungsmanöver" womöglich die direkte Reaktion auf die Kritik der Fans darstellt. Zumindest kam die Geschichte gut an und wurde auch in Maus-Edition 7 nachgedruckt. Sie erlangte allerdings auch deswegen Berühmtheit, weil der Übersetzer (leider nicht genannt, es dürfte aber wohl Peter Daibenzeiher sein) die Kritik am "neuen" Micky an einigen Stellen hat einfließen lassen und Karlo Worte in den Mund legt wie: "Weil du mich nervst, du Kasperle in kurzen Hosen! Und da bin ich nicht der Einzige." Eigentlich schade, dass ausgerechnet der vernünftigste D-Micky seit langem mit solchen Worten konfrontiert wird...

Die Geschichte ist so eine Art Zwischending: Einerseits ist Micky längst nicht so dämlich und kindisch wie in den zu der Zeit leider ständig im LTB vorzufindenden dänischen sogenannten "Kaschperl"-Comics. Andererseits wirkt er jugendlicher und frischer als bei "Ein Fall für Micky" und älteren dänischen Comics, wo er manchmal wirklich extrem schlecht drauf war. Man kann es auch einfach so sagen: Micky agiert hier wie bei Floyd Gottfredson. Und darin ist er ja den italienischen Geschichten wiederum nicht unähnlich, die sich seit jeher auf Gottfredson beziehen (und auf dessen großen Bewunderer Scarpa, der von Erickson ja auch mehrfach ausdrücklich gewürdigt wurde).

Bemerkenswert ist an der Geschichte auch der "experimentelle" D/D-Code, der häufig bei neuen Zeichnern oder Autoren zum Einsatz kommt. In diesem Fall bezieht sich das wohl darauf, dass es die erste reine Maus-Geschichte ist, die von Massimo Fecchi gezeichnet wurde. Zuvor hatte er bereits die Donald/Micky-Crossover "Ein Rätsel zum Geburtstag" (ebenfalls von Erickson, ebenfalls empfehlenswert) und "Der schwarze Schatten" (der qualitative Ausreißer vom ansonsten oft extrem grottigen, neuerdings aber nicht mehr so schlecht schreibenden Andreas Pihl) umgesetzt. Anders als seine dänischen Kollegen wurde Fecchi auch offensichtlich nicht angewiesen, die Zeichnungen so grobflächig wie möglich zu gestalten – was seinem detaillierten Stil natürlich entgegenkommt.

Inhaltlich ist "Ein teuflisches Täuschungsmanöver" schnell zusammengefasst: Micky wird immer wieder nachts von Kater Karlo aufgeweckt und aufgefordert, ihn bei seinen Verbrechen zu stoppen. Und jedes Mal ist Karlo am nächsten Tag wieder im Gefängnis und weiß von nichts. Was steckt dahinter? Ist es ein Roboter? Ein Doppelgänger? Wenn nicht: Warum hat er von seinen nächtlichen Aktivitäten keine Ahnung und wie kommt er Nacht für Nacht aus dem Gefängnis heraus (und wieder herein)? Alle diese Fragen bringen Micky an den Rand der Verzweiflung – großartig in Szene gesetzt auf einer Seite, wo er die ganze Zeit über die seltsamen Geschehnisse nachdenkt und dabei nacheinander Goofy, Rudi und Minnie nervt. Und Kommissar Hunter ist genauso wie der Gefängnisdirektor einfach davon überzeugt, Micky wäre von Karlo besessen.
Außerdem hat ein mysteriöser Hacker die gesamte Stadtkasse auf ein Konto im Ausland transferiert – und dafür wird ausgerechnet der Bürgermeister verantwortlich gemacht! Diese finanzielle Notlage wirkt sich direkt auf die Polizei aus. Doch erst sehr spät dämmert es Micky, worum es wirklich geht...


Der Plot an sich ist sogar recht klassisch, aber er wird nach allen Regeln der Kunst aufgebaut und der Leser lange im Dunkeln gelassen, bevor die Spannung am Ende schlüssig (vielleicht ein bisschen zu zügig auf gerade mal vier Seiten) aufgelöst wird. Anders als bei Ericksons erster LTB-Mausgeschichte "Happy Birthday, Micky" (die ich im Übrigen für völlig unterschätzt halte – auch hier wiederum, weil sie den sonstigen dänischen Geschichten aus der Ära weit überlegen ist) weiß man eben nicht sofort, was dahintersteckt. Es ist definitiv die Atmosphäre, die den Comic auszeichnet. Fecchi hat auch ein paar kleine, aber feine Gags eingeflochten – wie den Gefängniswärter, der Micky am Schlafittchen greift und dann von Karlo selbst am Schlafittchen gepackt wird. Viele der Nebenfiguren (Wärter, Kripo-Beamte) haben dieses typische Fecchi-Aussehen mit großen Kinnen. Am Ende steht eine Reflexion über das Verhältnis zwischen Micky und seinem Erzfeind Kater Karlo, welches für meinen Geschmack überzeugender herausgearbeitet wirkt als z.B. bei "Im Strudel der Zeit".

Ich halte die Geschichte für gelungen (sonst hätte ich nicht eine Rezension dazu geschrieben), aber angeblich war Byron Erickson doch der Meinung, Micky sei zu miesepetrig. Ganz behoben hat er dieses Problem hier nicht. Vergleicht man mal diese Story mit Castys inzwischen legendären Geschichten "Spiel auf Zeit" (LTB 360) und "Aktion dünnes Phantom" (LTB 367), dann wird der Unterschied noch deutlicher. Bei Casty geht das Ganze erst einmal mit einem Gag zur Auflockerung los, bevor man richtig in den Fall gezogen wird. Bei Erickson ist von Spaß keine Rede, die Atmosphäre erdrückt einen gewissermaßen – von Seite eins an. Klar: Eine Geschichte, in der es u.a. um hochgiftiges und radioaktives Plutonium geht, kann natürlich kein Gagfeuerwerk sein, dennoch hätte ein bisschen mehr Humor sicher nicht geschadet.
Ich will mich nicht beklagen, der Aufbau ist genauso wie der Hintergrund mit den gestohlenen Geldmitteln gelungen, aber vielleicht ist das auch ein Grund, warum viele Fans mit der Geschichte nicht so recht warm werden.

Die Geschichte des dänischen Mickys im LTB ist für mich auch eine Geschichte der verpassten Chancen: Warum hat man den sicher besten Egmont-Zeichner Fecchi so selten Mäuse zeichnen lassen (während sich bestenfalls mittelmäßige Zeichner wie Maximino, Gonzalez oder der immer schlechter werdende Xavi jahrzehntelang im LTB ausbreiten durften)? Warum schreibt Erickson seit einiger Zeit regelmäßig Duck-Comics fürs LTB, hatte aber für Micky offenbar so selten Zeit? Warum hat man den zweitbesten Egmont-Autoren, Gorm Transgaard, nicht mal einen einzigen Mauscomic fürs LTB schreiben lassen? (Im MM-M hat er vor einiger Zeit einen kurzen Krimi in der Murry-Tradition platziert – gezeichnet von... genau, Fecchi.) Warum scheint sich bei Autoren wie Michael T. Gilbert, Mark & Laura Shaw, Andreas Pihl, Darko Macan, Stefan Petrucha, Paul Halas oder teilweise auch Pat & Carol McGreal niemand um einen gewissen inhaltlichen Qualitätsstandard gekümmert zu haben? Dachten die verantwortlichen Redakteure wirklich, dass deren Machwerke italienischen Geschichten von Tito Faraci, Francesco Artibani, Giorgio Pezzin, Augusto Macchetto usw. gleichwertig oder sogar überlegen seien? Warum hat man die Chance nicht genutzt, mit Giorgio Cavazzano (der ja seit 2008 auch regelmäßig für Egmont zeichnet) einen der profiliertesten Mauszeichner einzusetzen? 2008 war Kurzhosenmicky zwar schon eingestellt, aber mit "Im Bann des Phantoms" (erneut mit Fecchi-Zeichnungen, aber deutlich weniger ausgereift als "Ein teuflisches Täuschungsmanöver") hatte man ja noch mal einen Versuch mit Trenchcoat-Micky à la "Ein Fall für Micky" gestartet und dann ganz schnell wieder abgebrochen. Warum hat man es immer wieder mit Crossovers versucht, die jedes Mal genau gleich gestrickt waren (Donald und Micky gehen einander ständig an die Gurgel) – und sich dann gewundert, dass diese nicht gut ankommen (Peter Höpfners Erklärung für die Einstellung der "On the Road"-Serie)? Fragen über Fragen.

Wie dem auch sei: Wenn man nur eine einzige Egmont-LTB-Geschichte mit Micky lesen möchte (und kein Problem mit kurzen Hosen hat), dann würde ich dringend zur Lektüre von "Ein teuflisches Täuschungsmanöver" raten.


Von Spectaculus (November 2018)

Zuletzt aktualisiert: 01.05.2023, 14:25
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