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Auf der Suche nach Unsterblichkeit

ÜBER "DER GEHEIMNISVOLLE KONTINENT MU"


Storycode: I TL 1238-AP
Originaltitel: Topolino e l'enigma di Mu
Deutscher Titel: Der geheimnisvolle Kontinent Mu
Seitenanzahl: 64 (3-reihig)
Autor + Zeichner: Massimo De Vita
Erstveröffentlichung: 19. + 26. August 1979 (Italien, Topolino 1238 + 1239)
Deutsche Veröffentlichungen: Lustiges Taschenbuch 141, Lustiges Taschenbuch Sonderedition 2008-1


Wie alles begann...

Längst nicht jeder neuen Figur, die in den Disney-Kosmos eingeführt wird, gelingt es, sich in der Folgezeit als ein fester Bestandteil desselben zu etablieren. Dass Professor Zapotek dieser Erfolg vergönnt sein würde, konnte Massimo De Vita natürlich nicht ahnen, als er dem weißbärtigen Wissenschaftler vor 31 Jahren in "Der geheimnisvolle Kontinent Mu" zu seinem Comicdebüt verhalf. Mit jener Geschichte leistete De Vita jedoch nicht bloß einen Beitrag zur Vielfalt des Maus-Universums, er schuf zudem einen ebenso spannenden wie anspruchsvollen Comic-Klassiker, dem wir uns an dieser Stelle etwas näher widmen wollen.

Konventionell ist Zapoteks erster Auftritt sicherlich nicht: Ebenso unerwartet wie unangekündigt sitzt er eines Tages in Mickys Wohnzimmersessel und bittet um Hilfe und Schutz, da er befürchtet, dass man ihm nach dem Leben trachtet. Obwohl Micky den sichtlich verängstigten Professor anfangs für paranoid hält, kann er ihm die Bitte nicht abschlagen, ihn nach Hause zu begleiten. Gemeinsam mit Goofy machen sie sich also auf den Weg zur Wohnung Zapoteks, wobei sie nur mit Mühe und Not die Anschläge eines im Dunkeln agierenden Gegners überleben.
Endlich angekommen stellen sie fest, dass der Widersacher zwar alles auf den Kopf gestellt, den gesuchten Gegenstand jedoch nicht gefunden hat - ein Gerät zur Entzifferung des Alphabets von Mu. Was es damit auf sich hat, erklärt ihnen der Professor, als sie am nächsten Tag im Flugzeug nach Persien sitzen. Es stellt sich heraus, dass er darauf hofft, das Rätsel des Untergangs von Mu zu lösen, einer vor vielen Jahrtausenden im Pazifischen Ozean versunkenen Hochkultur, welche den Unsterblichkeit verleihenden "Baum des Lebens" besessen haben soll. Letzte Aufschlüsse verspricht er sich von einer im Museum von Abrakaddar ausgestellten Steintafel.
Dort überschlagen sich die Ereignisse: Nachdem sich der geheimnisvolle Konkurrent bei seinem ersten Versuch, die Tafel zu entwenden noch mit einem Bruchstück zufrieden geben muss, überfällt er den in die Entzifferung der Schrift vertieften Professor und stiehlt auch die restlichen Teile. Da er damit den Ort kennt, an dem sich der "Baum des Lebens" befindet, spitzt sich die Lage schlagartig zu: Die grenzenlose Macht der Unsterblichkeit droht in die Hände eines skrupellosen Schurken zu fallen. Für unsere drei Freunde beginnt nun ein dramatischer Wettlauf um die Quelle der ewigen Jugend, der sie bis ins ferne Mikronesien führt...

Graue Theorie? Aus dem Leben eines Wissenschaftlers...

Massimo De Vita entfaltet hier auf 64 Seiten eine bemerkenswerte Abenteuerstory, die sich in besonderem Maße durch erzählerische Dichte und Facettenreichtum auszeichnet. Geschickt gelingt es ihm, das narrative Potential der anspruchsvollen Thematik mit Hilfe gezielt eingesetzter Spannungsmomente und spektakulärer Actionszenen auszuschöpfen.
Spannung erzeugt er vor allem dadurch, dass er viele Fragen lange Zeit offen lässt: Was genau hat der Professor vor? Was hat es mit Mu auf sich? Wer trachtet Zapotek nach dem Leben und warum? Ein unbekannter und im Verborgenen agierender Bösewicht erscheint dem Leser grundsätzlich bedrohlicher, als einer, dessen Identität und Pläne von Anfang an bekannt sind.
Das Gefühl der ständigen Bedrohung wird von De Vita dabei regelrecht inszeniert: Immer wieder geraten die Protagonisten in lebensgefährliche Situationen, aus denen sie nur mit Glück und Mühe entkommen. Ob nun eine sich hebende Zugbrücke, ein Sturm auf hoher See oder, als finale furioso, eine in sich zusammenstürzende Insel - stets werden die dramatischen Höhepunkte actionreich und bildgewaltig in Szene gesetzt.
Neben diesen erzählerischen Raffinessen glänzt die Story überdies mit einem sorgfältig recherchierten und akkurat umgesetzten historisch-mythologischen Hintergrund: Gekonnt mischt De Vita historische Fakten (Bücherverbrennung alter Maya-Dokumente durch den Bischof von Yucatán...) mit mythischer Fiktion (Kulturgeschichte des legendären Kontinents Mu, der "Baum des Lebens" als zentrales mythisches Symbol...) und regt auf diese Weise sowohl die Phantasie als auch das Interesse des Lesers an Geschichte und Mythologie an.
Zeichnerisch befindet sich De Vita fraglos auf der Höhe seines Könnens. Neben den gewohnt makellosen Figurenzeichnungen, betonen die stimmungsvollen Hintergründe die filmische Qualität der Story. Des Weiteren sorgt der gezielte Wechsel der Panelgrößen für ein hohes Maß an erzählerischer Dynamik.
Bei allem Lob darf eine kleine Unstimmigkeit nicht unerwähnt bleiben: Da einzig der Professor in der Lage ist, das Alphabet von Mu zu entziffern, erscheint es widersinnig, dass von Vulpius die Steinplatte noch vor ihrer Entschlüsselung zu stehlen versucht.


Das Objekt der Begierde: Der "Baum des Lebens".

Bei den handelnden Figuren sticht natürlich besonders der Debütant ins Auge: De Vita zeichnet Zapotek als einen Mann, der sein Leben in den Dienst der Wissenschaft gestellt hat. Selbst noch im fortgeschrittenen Alter setzt er sich in ihrem Namen den größten Strapazen und Gefahren aus. In späteren Jahren gewinnt der Vollblutwissenschaftler allerdings weiter an Profil, als ihm mit dem Physiker Marlin eine Figur zur Seite gestellt wird, an der er sich reiben kann.
Micky agiert so, wie wir ihn kennen: Hilfsbereit, abenteuerlustig und couragiert, wie sich insbesondere am Ende zeigt, als er sein eigenes Leben riskiert, um den schurkischen Widersacher Dorian von Vulpius zu retten.
Auch die Charakterisierung von Goofy darf als klassisch bezeichnet werden. In gewohnter Manier neigt er dazu, Situationen grundsätzlich anders wahrzunehmen als seine Umwelt, was für gelegentliche Schmunzler und eine Auflockerung der Atmosphäre sorgt. Wie so oft trägt er zudem an entscheidender Stelle zur Lösung des Rätsels bei und erweist sich somit einmal mehr als eine dramaturgisch wichtige Figur.

Zum Abschluss sollte noch darauf hingewiesen werden, dass sich "Der geheimnisvolle Kontinent Mu" trotz anderer Besetzung in die Tradition der "adventure stories" von Carl Barks einreiht. Insbesondere dessen Klassiker "Der goldene Helm" stellte für De Vita allem Anschein nach eine Quelle der Inspiration dar, was an einigen Parallelen deutlich wird: In beiden Geschichten jagen zwei Parteien einem Gegenstand hinterher, der seinem Besitzer unermessliche Macht verspricht. Während die eine Partei das Wohl der Menschheit im Auge hat, ist die andere nur auf ihren eigenen Nutzen bedacht (Berengar Bläulich und Justizrat Wendig bei Barks, Dorian von Vulpius bei De Vita). Zudem führen beide Autoren vor, wie grenzenlose Macht unweigerlich einen unheilvollen Einfluss auf den Charakter ihres Besitzers ausübt und sogar tugendhafte Figuren wie Donald und Zapotek auf die falsche Bahn zu lenken imstande ist. Das "kalte Glitzern" in den Augen Donalds, als er sich seiner Macht bewusst wird, entspricht dem "seltsamen Glanz", den Micky im Blick von Zapotek wahrnimmt, nachdem dieser vom "Baum des Lebens" gekostet hat.
De Vitas Vorliebe für diese Barks-Story ist wohl unbestritten: Als es 2001 darum ging, den verstorbenen Altmeister mit einer Geschichte zu ehren, griff der Italiener ausgerechnet die Thematik des goldenen Helms wieder auf - mit dabei übrigens: Micky, Goofy und Zapotek.


Mu geht unter. Mal wieder...

So sollten Abenteuer-Geschichten sein: Spannend, dramatisch und anspruchsvoll - eine uneingeschränkte Leseempfehlung!

Von Kopekobert Dukofjew (Juli 2010)

Zuletzt aktualisiert: 01.05.2023, 15:09
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