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Im Reich von Richard Löwenherz

Storycode: I TL 1749-A
Originaltitel: Topolino e l'equivoco temporale
Autor: Giorgio Pezzin
Zeichner: Sergio Asteriti
Erstveröffentlichung: 1989
Deutsche Veröffentlichungen: LTB 150, Enthologien 14, LTB History 3
Inhalt: Ein kleiner Prolog aus dem Jahr 1191 stellt den mürrischen und intriganten König Johann von England vor, der sich über seinen Beinamen "Ohneland" beklagt. Er verwaltet lediglich die englische Krone, solange sein angesehenerer Bruder Richard I. (genannt "Löwenherz") im Heiligen Land kämpft. Johann käme es daher sehr gelegen, wenn sein Bruder einfach verschwinden würde... Im Entenhausen des Jahres 1990 ist Professor Zapotek erleichtert, endlich Micky Maus und dessen Freund Goofy anzutreffen. Bei einer Reparatur der Zeitmaschine ist versehentlich eine Person aus der Vergangenheit in die Gegenwart befördert worden. Bei dem bärtigen Ritter handelt es sich, das wird den Freunden nach schweißtreibender Recherche klar, um niemand Geringeren als Richard Löwenherz. Doch der Kreuzfahrer muss so schnell wie möglich wieder in sein richtiges Jahr, denn sonst könnte das unvorhersehbare Folgen für das Raum-Zeit-Kontinuum haben! Micky und Goofy streifen sich ebenfalls Kettenhemde über, besteigen die Zeitmaschine und versuchen zu ergründen, wann und wo genau König Richard seine unverhoffte Zeitreise angetreten hat.

Historischer Hintergrund: Wie es die ersten drei Seiten des Comicabenteuers aufzeigen, spielt die Geschichte Ende des 12. Jahrhunderts im sogenannten "angevinischen Reich". Der englische König beherrscht nicht nur die britische Mutterinsel, sondern auch den Großteil Westfrankreichs. Richard I. hatte nach komplexen Erbstreitigkeiten mit seinem Vater Heinrich II. und seinen Brüdern die Oberhand gewonnen, sodass ihm nach zahllosen Konflikten 1189 die Krone angetragen wurde.

Richard Löwenherz, der seine Teilnahme am "Dritten Kreuzzug" angekündigt hatte, traf 1190 hastig Vorbereitungen für seine Abreise ins Heilige Land. Als wichtigster Verbündeter dabei trat Lordkanzler William Longchamp auf, wogegen Richard seinen Bruder Johann unter Eid schwören ließ, innerhalb der nächsten drei Jahre England nicht zu betreten. Doch nur kurz nach Richards Abreise beging Johann Verrat, langte in England an und zwang Longchamp zum Rücktritt. Ohne formale Anerkennung führte Johann Ohneland einige Amtsgeschäfte durch und bandelte mit dem französischen König Philipp II. an.

Der Dritte Kreuzzug gilt als gescheitert. Nachdem Richard nach jahrelanger Abwesenheit wieder englischen Boden betrat, war sein Reich von Feinden sowohl im Inneren als auch im Äußeren bedroht. Der französische König hatte große Gebiete erobert, die Richard jedoch schnell wieder unter seine Kontrolle bringen konnte. Es gelang Richard, seine Macht zu stabilisieren. Reformen im eigenen Land und eine geschickte Außenpolitik konnte er verwirklichen. Im April 1199 erlag Richard Löwenherz den Verletzungen durch einen Armbrustbolzen. Sein Bruder Johann bestieg letztendlich als legitimer Nachfolger den Thron und ging als der englische König "Ohneland", unter dem das angevinische Reich zerfiel, in die Geschichtsbücher ein.


Richard Löwenherz – König, Kreuzfahrer, Nationalheld?
Richard Löwenherz (1157 – 1199) zählt zu den beeindruckendsten Persönlichkeiten der Geschichte – dabei war er als Drittgeborener nicht unbedingt für den englischen Thron vorgesehen. Sein Vater, Heinrich II. ("Kurzmantel")., festigte die Macht der englischen Krone und rivalisierte ständig mit Frankreich. Nicht willens, seine Macht mit seinen Söhnen zu teilen, gipfelte der Familienkonflikt 1173 in die Revolte der Königssöhne. Nach dem Tod zweier Brüder beanspruchte Richard die Königswürde nun für sich – sein erzürnter Vater jedoch wollte wiederum Johann nicht leer ausgehen lassen. So kam es, dass Richard Hilfe beim französischen König suchte – und auch erhielt. Richard Löwenherz bestieg den Thron und fokussierte sich auf seine Teilnahme am Dritten Kreuzzug.

Auch Philipp II. von Frankreich nahm mit seinen Truppen am Kreuzzug teil. Seinen Einzug im Heiligen Land ließ Richard Löwenherz triumphal feiern. Erst unter der einheitlichen Führung von Richard Löwenherz gelang es, das befestigte Akkon einzunehmen. Die von Leopold V. gehisste Flagge ließ Richard von der Spitze der Türme entfernen und von den Burgmauern werfen – eine Ehrverletzung in den Augen des stolzen Herzogs von Österreich. Er und Phillip II. kehrten eilig zurück nach Frankreich, um insgeheim gegen Richard zu intrigieren.

Richard Löwenherz dagegen drängte die muslimischen Heere vor Jaffa zurück, hoffte aber, baldmöglichst nach England zurückzukehren. Folglich bemühte sich Richard um Diplomatie. Im September 1192 schlossen er und Sultan Saladin einen Pakt: Zwar blieb Jerusalem in der Hand der Muslime, doch christlichen Pilgern wurde für die nächsten drei Jahre freier Zugang zu der heiligen Stätte gewährt.

Bei seiner Rückreise entschied Richard, die Alpen zu überqueren. Im Dezember 1192 wurden er und seine Gefolgschaft bei der Durchquerung österreichischer Gebiete enttarnt und von Leopold V. gefangen genommen. Leopold überstellte den gefragtesten Häftling Europas an den deutschen Kaiser Heinrich VI. Vor dem Hoftag in Speyer gelang es Richard, die anwesenden Reichsfürsten weitgehend zu überzeugen, dass er keine Verfehlungen begangen habe. Erst nach der Zahlung eines unvorstellbar hohen Lösegelds von 100.000 Mark in Silber (knapp 23 Tonnen Silber, umgerechnet 2 Milliarden Euro) kam Richard Löwenherz 1194 frei und betrat wieder englischen Boden.

Im Comic erfährt man im Grunde nicht viel über Richard. Er trägt ein Kettenhemd mit dem weißen Waffenrock der Kreuzfahrer und ein großes Schwert, zeitweilig auch eine Krone. Auf der Brust ist sein Wappentier zu erkennen; das Wappen auf den Schilden ist jedoch nicht authentisch. Mit seinem weißen Bart wirkt er wesentlich älter, als er zum damaligen Zeitpunkt war. Als in der zweiten Hälfte der Geschichte ein zweiter Richard Löwenherz auftaucht, bei dem es sich augenscheinlich um den echten König handelt, wird er als voreingenommener Regent eingeführt, der in völliger Panik in jedem einen Thronräuber sieht. Er nimmt Micky, Goofy und den falschen Richard gefangen und will sie – ohne Leid! – enthaupten lassen. Dieser Gewaltexzess nimmt Bezug auf ein Massaker im August 1191, bei dem Richard (modernen Schätzungen zufolge) 2.700 muslimische Gefangene hinrichten ließ, da das Lösegeld zu spät eintraf.


Johann Ohneland – Tyrann, Taugenichts, Kriegstreiber?
Mit John Lackland (1167 – 1219) machen die Leser schon zu Beginn des Comicabenteuers Bekanntschaft. Johann, der nur 1,65m Körpergröße misst und wegen seiner Leidenschaft für gutes Essen stetig an Pfunden zulegte, ist den meisten Leuten vor allem wegen seines Beinamens "Ohneland" bekannt. Hierüber ärgert sich der Königssohn auch im Comic und schnaubt, er habe als König von England schließlich genug Land. Sein Berater verweist darauf, dass dies eben sein heraldischer Name sei. Tatsächlich geht der Beiname auf die Beschlüsse von Montmirail (1169) zurück: Allen Königssöhnen wurden bestimmte Gebiete zugesprochen, nur Johann ging leer aus.

Später bekam er von seinem Vater dennoch ein paar Ländereien zugesprochen und durfte auch militärische Operationen durchführen. Beunruhigt aufgrund zunehmender Unabhängigkeitsbestrebungen in Irland entsandte Heinrich II. seinen Spross Johann auf die grüne Insel. Dieser jedoch fuhr eine Niederlage nach der anderen ein und musste sich gedemütigt zurück nach England begeben. Nach dem Tod des Vaters scheiterte Johann zudem daran, die Rebellen in Wales zurückzuschlagen. Obwohl Johann 1188 gemeinsam mit seinem Bruder Gottfried Aquitanien, das ja Richard unterstand, angriff (und kläglich versagte), stattete Richard seinen Bruder nach seiner Krönung mit Gebieten in Südengland aus. Allerdings regierte Johann Ohneland nicht (wie im Comic gezeigt) in einem disneytypischen Märchenschloss, sondern in einer Burg in der Stadt Marlborough (ja, die mit den Zigaretten!), wo er auch seine Schatzkammer einrichten ließ. Johann soll regelrecht besessen gewesen sein von Edelsteinen und besetztem Geschmeide.


Um das Lösegeld für seinen Bruder aufzubringen, musste Johann Abgaben einführen und Steuern erhöhen. Darüber wurde streng Buch geführt. Es ging der Spruch um, dass Johann sogar London verkaufen würde, wenn er dafür nur einen Abnehmer fände. Ob Johann tatsächlich eine Steuer auf Federn und Daunen in Kopfkissen einführte, ist nicht belegt...

Das Bild von Johann Ohneland war schon zu Lebzeiten des Königs unübersehbar schlecht. Er galt als herrisch, rachsüchtig und wolllüstig – entsprechend unbeliebt war er beim Volk. Als Kriegsherr konnte er nur wenige Erfolge vorweisen, viele seiner Feldzüge endeten in Blamagen; erst als englischer König gelang es ihm kurzzeitig, französische Truppen zurückzudrängen. Mit seinem Verrat am eigenen gefangenen Bruder machte er sich im negativen Sinne unsterblich in den Chroniken.

Der Dritte Kreuzzug – Wie ging Richard im Morgenland vor?
Der sarazenische Feldherr Saladin (1137/38 – 1193) baute seine Macht unnachgiebig aus. Nach zahllosen Eroberungen sah es Saladin als eine Pflicht an, die Kreuzfahrerstaaten zu vernichten. Als Richards Vater starb, erneuerte dieser den Schwur, am Kreuzzug teilzunehmen, und machte sich mit Phillipp auf den Weg – zeitgleich, damit keiner von beiden einen Vorteil hatte.

Die verbliebenen deutschen Kreuzfahrer schlossen sich der Belagerung von Akkon an. Dort hatte der ehemalige König Jerusalems, Guido von Lusignan, seine letzten Getreuen um sich geschart. Jedoch hatte er nicht mit der Zähigkeit der Sarazenen gerechnet. Es war höchste Zeit, als im April 1191 Philipp II. anlangte und sieben Wochen später auch Richard I. den Boden des Heiligen Landes betrat. Erst jetzt kam Bewegung in die festgefahrene Lage: Die Mauern wurden untergraben, die Wasserversorgung der Stadt gekappt und die zusätzlichen Schiffe verstärkten die Seeblockade. Am 12. Juli 1191 übergab Saladin Akkon an die Kreuzfahrer.


Im Comic landen Micky, Goofy und Richard genau während der Belagerung von Akkon in der Vergangenheit. Die Truppen Saladins haben bereits ihre Außenposten vor den Toren der Stadt bezogen, um die Kreuzfahrer in die Mangel zu nehmen. Ermutigt vom Auftauchen des großen Richard Löwenherz gelingt es einigen gefangen genommenen Kreuzrittern, die Wachen auszuschalten und zu entkommen. Saladin drängt seine Männer zum Rückzug, um das Lager zu halten. Zugegebenermaßen ist die Darstellung mehr als verwirrend: Es hat den Eindruck, als würden die Sarazenen Akkon belagern und die Kreuzfahrer würden sich in der Burg verschanzen. Wenig später feiern sie jedoch ihren König Richard, der unter den Fanfaren der Herolde in der Stadt einzieht. Ein am Boden liegender Krummsäbel versinnbildlicht die Niederlage des Sultans. Micky und Goofy werden vom echten Richard verdächtigt, Spione seines Bruders zu sein, der den Thron für sich beanspruchen will. In letzter Sekunde gelingt den Freunden die Flucht mithilfe der Zeitmaschine. Der Comic-Richard will umgehend nach England zurückkehren – der historische Richard dagegen setzt seinen Kreuzzug fort und ruft nach weiteren Gefechten zum Marsch auf Jerusalem auf.

Robin Hood – Rächer auf Seiten Richards?
Im zweiten Teil der Geschichte, die in England spielt, wird Robin Hood die Ehre zuteil, auf Seiten Richard Löwenherz in Erscheinung zu treten. Nach wie vor ist umstritten, ob es sich bei Robin Hood um eine einzelne historische Person gehandelt hat. Festzuhalten bleibt, dass die Verknüpfung der Mythen um Robin Hood und Richard Löwenherz spätestens seit dem 16. Jahrhundert die Legendenbildung beider Persönlichkeiten fruchtbar förderte. Beide gelten gewissermaßen als Nationalhelden Englands. Viele verorten Robin Hood zur Zeit der Tyrannei Johann Ohnelands, der mit seinen Steuern die englische Bevölkerung ausbluten ließ. Wenngleich Richard Löwenherz und sein Bruder "John" in der ersten Überlieferung des Robin-Hood-Stoffes noch nicht vorkamen, verlegte der englische Schriftsteller John Major die Geschichte 1521 in die Zeit von Löwenherz. Robin Hoods Unterschlupf im Sherwood Forest setzte sich auch in der Comicgeschichte durch. Hier deckt Robin Hood die Intrige König Johanns und dessen niederträchtigen Schergen auf, der Richard Löwenherz entführen und in einer Höhle im Wald verstecken ließ. Der ganz in grün gekleidete Robin Hood kann Richard befreien und hilft dabei, die Abtrünnigen um Johann Ohneland zu besiegen. Mit Pfeil und Bogen weiß auch der Comic-Robin-Hood umzugehen. Ganz so tugendhaft und edelmütig kann er aber nicht sein, denn auch er traut Micky und Goofy nicht über den Weg und schreitet nicht ein.

Fazit: "Im Reich von Richard Löwenherz" ist eine der interessantesten Abenteuer aus der Serie um die Zeitmaschinengeschichten. Der historische Hintergrund ist außergewöhnlich ernst und mehr als ungewöhnlich für Disney-Geschichten (es gibt sogar einen richtigen Henker zu sehen). Der Reiz der Geschichte liegt unter anderem darin, dass sie gleich in zwei verschiedenen Zeiten und an unterschiedlichen Orten spielt. Es gibt eine erkennbare Kontinuität, aber kein erkennbares Schema an guten und bösen Charakteren. Die Lücke zwischen den beiden Episoden wird mit einem rosa Kasten abgetan: Man solle in sein Geschichtsbuch schauen. Gemeint ist hier natürlich die lange Gefangenschaft von Richard Löwenherz. Das macht tatsächlich neugierig darauf, die Geschichte hinter dem Comic zu entdecken und selbst auf die Suche nach historischen Fakten der Handlung zu gehen. Zudem dürfte es das erste Mal sein, dass die Zeitmaschine von Zapotek und Marlin einen Zeitreisenden "ausspuckt" (das passiert später noch einem Höhlenmenschen). Dass es sich dann doch gar nicht um einen Weitgereisten handelt, tut der Geschichte, die nur wenig Humor bietet, gut. Es gibt sogar eine kleine Anspielung auf den Autor Giorgio Pezzin: Es ist die Rede vom "Pezzyngischen Lehrsatz"...


Von Entenfan (August 2021)
Hinweis: Eine längere Fassung des Textes mit mehr Details zum historischen Hintergrund findet sich hier.



Zuletzt aktualisiert: 02.05.2023, 10:45
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