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Das verrückte Mausoleum

Storycode: I TL 1764-A
Originaltitel: Topolino e la leggenda di re Porsenna
Autor & Zeichner: Lino Gorlero
Erstveröffentlichung: 1989
Deutsche Veröffentlichungen: LTB 149, LTB Spezial 52 & Enthologien 30
Inhalt: Micky, Goofy und Professor Zapotek beobachten vor der Küste Italiens einen Delfinschwarm, als urplötzlich ein etruskisches Schiff auftaucht. Doch wozu hat man eine Zeitmaschine, wenn nicht um die armen in der Gegenwart gestrandeten Etrusker in ihre Zeit zurückzubringen. Dabei sollen Micky und Goofy klären, ob die Legende, dass der Etruskerkönig Porsenna sich ein sagenumwobenes Mausoleum bauen ließ, tatsächlich zutrifft. Doch in der Vergangenheit haben es Micky und Goofy gar nicht so leicht, sie verpassen ihre Rückreise und als noch ein Außerirdischer auftaucht, wird es äußerst kompliziert. Oder doch ganz einfach.

Historischer Hintergrund: Die Etrusker:innen waren ein nicht-indoeuropäisches Volk, das in der Antike in der heutigen Toskana lebte. Ihre Sprache, die mit keiner heute gesprochenen Sprache verwandt ist, ist nur sehr ungenügend über Quellen erhalten und bis heute zum Teil unklar. Viele Unklarheiten bestehen auch hinsichtlich der Etrusker:innen selbst, auch wenn durch archäologische Befunde das Bild heute wesentlich klarer ist. Es darf z. B. heute als erwiesen gelten, dass die etruskische Kultur in Italien entstand, dass es aber Einwanderer aus dem östlichen Mittelmeergebiet gab. Die Etrusker:innen dominierten Mittelitalien für einige Jahrhunderte, ab dem 4. Jahrhundert v.Chr. wurden die etruskischen Städte aber sukzessive von Rom erobert. Rom, selbst zeitweilig von einer etruskischen Oberschicht regiert, nahm allerdings viele Elemente der etruskischen Kultur auf.

Porsenna – tyrannischer König Etruriens mit merkwürdigem Mausoleum?
Lars Porsenna ist eine sehr wahrscheinlich historische Gestalt und König des Stadtstaats Clusium (heutiges Chiusi in der Toskana). Dass er über ein etruskisches Reich geherrscht hat, wie im Comic behauptet, ist definitiv falsch. Etrurien war zu der Zeit in republikanische Stadtstaaten gegliedert, die von einer breiteren Oberschicht regiert wurden. Bisweilen kam es vor, dass einzelne Aristokraten alle Macht in ihren Händen bündelten, dies war jedoch eine Ausnahme und nicht die Regel. Porsenna unternahm definitiv weit ausgreifende Feldzüge, die ihn und seinen Sohn Arruns bis ins südliche Latium führten. Zur See fahrende Schiffe ausrüsten konnten sie allerdings nicht, denn Clusium lag nicht am Meer, sondern nur in der Nähe des Tibers und relativ weit im Landesinneren.


Es wird mittlerweile von den meisten Historiker:innen angenommen, dass Porsenna tatsächlich Rom angriff und vermutlich erobert und kurzfristig beherrscht hat. Die antiken Autoren nennen als Grund, dass Porsenna den geflüchteten König Roms Tarquinius Superbus wieder auf den Thron heben wollte. Dies ist nicht sehr wahrscheinlich. Viel eher dürfte Porsenna Tarquinius selbst vertrieben haben, um Rom als Ausgangspunkt für seine militärischen Expeditionen Richtung Süden verwenden zu können. Das Kräfteverhältnis, das im Comic erwähnt wird, ist jedenfalls trügerisch: So mächtig war Rom noch nicht, im Gegenteil, Porsenna dürfte über weit größere militärische Kapazität verfügt haben. Rom war allerdings strategisch äußerst günstig gelegen.


Die antike Literatur berichtet davon, dass Porsenna sich ein gewaltiges Mausoleum erbauen ließ. Bei Varro findet sich eine Beschreibung des unter Clusium angelegten Grabmals, mit fünf Pyramiden, die eine gewaltige Kugel tragen, von der Glocken herabhängen. Abgesehen von der Kugel und den Glocken hat Lino Gorlero die Beschreibung Varros sehr genau abgezeichnet. Im Inneren des Gebäudes befindet sich ein Labyrinth, aus dem man nicht wieder herausfindet, genau wie im Comic. Die Legende des goldenen Streitwagens mit Pferden, auf dem der Sarkophag mit Porsenna ruhen sollte, sowie der 5000 Küken stammt aus dem Mittelalter. Das ganze Bauwerk ist allerdings extrem fragwürdig und in den gewaltigen Dimensionen offensichtlich übertrieben, selbst wenn es einmal existierte. Unter Chiusi gibt es übrigens tatsächlich ein Tunnelsystem, das als Labyrinth des Porsenna bekannt ist. Es handelt sich allerdings um ein Wasserleitungssystem. Die Etrusker waren Meister des Aquäduktbaus.


Lucius Tarquinius Superbus – letzter König Roms
Lucius Tarquinius Superbus (der lateinische Beiname bedeutet "der Hochmütige") hat im Comic selbst nur eine kleine Rolle, die seiner Körpergröße entspricht – der Kontrast zu seiner Selbstbeschreibung als "großer König" ist ein offensichtlicher Gag. Wie schon bei Porsenna gibt es kein Bild von ihm, sodass die dargestellte Kleinwüchsigkeit historisch definitiv nicht falsch – aber eben auch nicht richtig ist.

Tarquinius war der Legende nach der siebte und letzte König Roms. Heute erscheint es zwar sehr wahrscheinlich, dass es ihn gegeben hat, aber sowohl die Galerie von sieben Königen als auch die Taten von Tarquinius und dessen Verwandten sind äußerst fragwürdig bis schlicht und ergreifend falsch. Die bei den römischen Historikern – die übrigens alle mindestens 300 Jahre nach den Ereignissen schreiben und deshalb kaum vernünftige Fakten für die Frühzeit liefern – erzählte Legende berichtet, dass Tarquinius ein strenges Regiment über Rom führte. Sein Sohn Sextus soll sich an Lucretia, einer noblen Patrizierin, vergangen haben, was diese in den Selbstmord und ihre Verwandten zum Racheschwören trieb. In einem Aufstand wurde Tarquinius Superbus aus der Stadt getrieben und flüchtete zu Porsenna.

Was sich tatsächlich abgespielt hat, dürfte mit dieser Legende wenig zu tun haben. Ende des 6., Anfang des 5. Jahrhunderts v. Chr. ging Rom vom Königtum zur Republik über. Will heißen, es waren nun die adeligen Patrizier, die in ihrem Gremium, dem Senat, den Ton angaben. Parallele Entwicklungen fanden auch in anderen Teilen der antiken Welt statt, in Athen, Karthago und Etrurien. Die Vergewaltigung der Lucretia ist als spätere Rechtfertigung für diese Entwicklung zu deuten sowie für einen möglichen Volksaufstand, der Tarquinius zur Flucht trieb (sofern er nicht, wie oben angesprochen, von Porsenna vertrieben wurde).

Mit dem in seine Zeit zu verortenden Bau des ersten Tempels auf dem Kapitol und vermutlich einem Machtgewinn Roms an der Mittelmeerküste hat Tarquinius der Stadt Prosperität gebracht; sein durchweg negatives Bild sollte deswegen etwas kontextualisiert werden.

Im Comic wird Porsenna von einem Legionär begleitet. Die typische Ausstattung der römischen Legionäre entwickelte sich aber erst im 1. Jahrhundert vor Christus, mithin ist diese Darstellung falsch. Soldaten der damaligen Zeit waren im Haupterwerb Bauern, die sich ihre Ausrüstung selber leisten mussten, und ein wenig disziplinierter, kaum einheitlich aussehender Haufen.


Fazit: Eine bemerkenswerte Geschichte, die Lino Gorlero, der selbst in Mittelitalien wohnt, hier schreibt und zeichnet. Sie besticht weniger durch historisch akkurate Darstellung – präsentierte angebliche Fakten sind falsch und die Legende um das Mausoleum eben nur eine Legende – sondern vielmehr durch den Außerirdischen und die kurzfristige Idee, Micky und Goofy seien für immer in der Vergangenheit gefangen. Immerhin: Wer eine gute Vorstellung von der legendenüberwucherten römischen Geschichtsschreibung und den nicht minder kuriosen Legenden des Mittelalters gewinnen will, ist mit der Geschichte gut aufgehoben. Wer trotz allem auf ein historisch wasserfestes Fundament nicht verzichten will, sollte sich besser anderen Zeitreisegeschichten zuwenden. Wer sich trotzdem an der Geschichte versuchen will, zumindest bietet sie eines: gute Unterhaltung!


Von McDuck (September 2022)

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Zuletzt aktualisiert: 02.05.2023, 10:43
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