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Der Schatz des Priamos

Storycode: I TL 1561-AP
Originaltitel: Topolino e la guerra di Troia
Autor: Giorgio Pezzin
Zeichner: Sergio Asteriti
Erstveröffentlichung: 1985
Deutsche Veröffentlichungen: LTB 121, Enthologien 3
Inhalt: Micky und Goofy machen gerade Urlaub, als sie eine Nachricht von Professor Marlin erreicht. Zapotek ist in die Zeit des Trojanischen Krieges zurückgereist und hat die Rückkehrtermine verpasst – er ist also in der Geschichte verschollen, in einer sehr gefährlichen Epoche. Micky und Goofy verkleiden sich als Trojaner und reisen in der Zeit zurück, landen jedoch leider im Heerlager der Griechen. Diese nehmen sie als Feinde gefangen und den beiden Protagonisten droht die Hinrichtung, der sie allerdings dank eines Tricks entkommen. Micky und Goofy fliehen nach Troja und werden von den Trojanern begeistert aufgenommen.
Dort machen sie eine erstaunliche Entdeckung: Professor Zapotek hat die Rolle des Sehers Kassandro eingenommen. Er ist deswegen noch immer in Troja, weil er herausfinden will, wo der Schatz des Priamos versteckt ist. In der Nacht gelingt ihm, Micky und Goofy tatsächlich, dies herauszufinden, doch sie werden enttarnt und ins Gefängnis gesteckt. Von dort aus müssen sie Eroberung Trojas durch die Griechen mithilfe des Trojanischen Pferdes zusehen und können im allgemeinen Tumult entkommen. Doch die Reise in die Vergangenheit hat nichts genutzt – die Karte des Ortes, wo sich der Schatz befindet, ist mit der Rückreise gealtert und zerfällt, der Schatz bleibt also ungefunden.

Historischer Hintergrund: Unsere Kenntnisse über den Trojanischen Krieg stammen nicht aus Quellen oder aus der Geschichtsschreibung, sondern aus Sagen. Die Erzählung sei nur kurz zusammengefasst: Da sich die drei Göttinnen Hera, Pallas Athene und Aphrodite streiten, wem denn ein Apfel mit der Aufschrift "Der Schönsten" zustehe, bitten sie Paris darum, das für sie zu entscheiden. Paris (mit Betonung auf a!) ist der jüngste Sohn des Königs Priamos von Troja. Er entscheidet sich für Aphrodite, die ihm die schönste Griechin dafür verspricht – Helena, die Frau von Menelaos von Sparta. Paris raubt Helena und entführt sie nach Troja.
Menelaos und sein Bruder Agamemnon von Mykene rufen daraufhin alle Griechen zusammen, darunter Helden wie Achilles oder Odysseus, und belagern gemeinsam zehn Jahre lang Troja. Im Laufe dieser Auseinandersetzungen sterben viele griechische, aber auch große trojanische Helden wie Hektor. Schließlich gelingt den Griechen der Erfolg: Aufgrund einer List des Odysseus täuschen sie vor, nach Hause zu fahren und lassen ein riesiges hölzernes Pferd zurück. Die Trojaner schleppen das Pferd in ihre Stadt, nicht ahnend, dass sich darin Griechen verstecken. Sobald sich alle zum Schlafen niederlegen, kommen die Griechen aus ihrem Versteck, öffnen die Stadttore und bereiten Troja und seiner Bevölkerung den Untergang.
In der griechischen Archaik (ca. 800-500 v. Chr.) existierten zahlreiche Epen über den Trojanischen Krieg. Uns davon erhalten ist lediglich eines: die Ilias des Homer. Die Ilias, das älteste griechische Epos, behandelt allerdings nur etwa 51 Tage aus den gesamten zehn Jahren Krieg, allerdings eine Schlüsselstelle der gesamten Sage. Die Ilias war in der Antike das wichtigste literarische Werk schlechthin und unglaublich einflussreich.

1. Rüstungen, Kleider, Waffen, Architektur
In der optischen Darstellung des Trojanischen Krieges orientiert sich Zeichner Sergio Asteriti stark an den gängigen Vorstellungen griechischer Bewaffnung, die uns auch in unzähligen Filmen über die Zeit begegnet. Diesen relativ abgeschlossenen Helmtyp mit Wangenschutz nennt man Korinthischen Helm, dem oft ein Federbusch aus Pferdehaar aufgesetzt wurde. Ein gewisses Problem ergibt sich allerdings dadurch, dass dieser Helmtyp deutlich später in Gebrauch war. In der Ilias Homers ist stattdessen vom Eberzahnhelm die Rede, einem zu Homers Zeiten wirklich archaischen Ausrüstungsgegenstand aus Leder, der mit Zähnen von Ebern geschmückt wurde. Inzwischen wurden archäologisch Eberzahnhelme ausgegraben.
Als weiterer, diesmal authentischer Ausrüstungsgegenstand ist der Streitwagen zu nennen, der tatsächlich in der Bronzezeit die Hightech-Waffe darstellte, aber im klassischen Griechenland keine Verwendung mehr fand.
Kleider, Schilde und Lanzen entsprechen weitgehend denen des klassischen Griechenlands, so etwas gab es aber, soweit man sagen kann, in der Bronzezeit auch schon. Auf den Schilden sind sehr schematisierte, symbolhafte Darstellungen zu erkennen, darunter eine Schlange. Verzierungen von Schilden sind typisch für das klassische Griechenland. Die Schlange war das Symbol für den Heilgott Asklepios (römisch Äskulap) und wurde durchaus auf griechische Schilde gemalt.
Im Comic ist die Stadt Troja als Festungsanlage mit hohen Mauern dargestellt. Genauso wird sie auch in der Ilias beschrieben und archäologische Funde haben Ähnliches bestätigt. Bei der Innenausgestaltung hat sich Asteriti allerdings einige historische Freiheiten herausgenommen, denn im Bildhintergrund sind griechische Säulen zu sehen und die gab es in der Bronzezeit noch nicht.


2. Professor Zapotek hat die Ilias dabei, die ihm alles über die Ereignisse verrät, was er wissen muss
Das ist ein wirklicher Fauxpas von Pezzin, der es besser hätte wissen müssen! Die Ilias beschreibt nämlich gar nicht die Eroberung Trojas. Hätte Zapotek sie mitgehabt, hätte er viel über 51 Tage im neunten Jahr der Belagerung sagen und etwa den Tod von Hektor voraussagen können. Detailkenntnisse über das Trojanische Pferd hätte er so nicht gewinnen können.

3. Protagonisten des Trojanischen Krieges
Die Geschichte benennt eine Reihe wichtiger Figuren des Trojanischen Krieges, ohne dass viel über sie gesagt wird. Deswegen eine kleine Aufstellung:

Die Trojaner scheinen im Comic generell zur Leibesfülle zu neigen und frönen der Völlerei und Faulheit. Außerdem sind sie sehr gutgläubig und vertrauen Micky und Zapotek relativ schnell. Es ist bemerkenswert, wie wenig aktiv sie sind, da doch Troja bereits zehn Jahre belagert wird und man wohl mehr Aktivität ihrerseits erwarten dürfte. Auch ihre Vorratskammern scheinen immer noch bestens gefüllt, also ist die Belagerung im Comic wohl nicht ganz so effektiv, wie uns das die Trojasage vermittelt.
Priamos: König von Troja, der eine äußerst reiche Schatzkammer und sehr viele Kinder hatte. Priamos ist im Comic sehr gutgläubig und in sein Schicksal ergeben. Er bringt zwar seinen Schatz in Sicherheit, aber sieht keinen Sinn, sich gegen die drohende Eroberung Trojas zu wehren, wenn die Götter dies so wollen.
Paris: jüngster Sohn des Priamos, gut aussehend, raubt Helena und löst damit den Trojanischen Krieg aus. Paris ist schuld am Tod des Achilles, in dem er ihm mit einem Pfeil in die Ferse schießt. Dies ist der einzige Ort, an dem Achill verwundbar ist. Der Comic behauptet, dass er ein Feinschmecker war, was nicht der Sage entspricht. Paris neigt wie schon Priamos zu Leibesfülle, während er in der Sage normalerweise rank und schlank ist.
Helena: schönste Frau und Gattin des Königs Menelaos von Sparta. Im Comic heißt es, sie sei nicht schön, aber eine sehr gute Köchin, dies widerspricht vollständig der Trojasage. Sie verliebt sich im Comic prompt in Goofy (obwohl sie vorher Paris verzärtelt) und erfüllt auch einige andere weibliche Klischees, etwa ist sie leicht zu schrecken.
Äneas und Anchises: nur ganz kurz in Troja zu sehen. Abgesehen davon, dass Äneas ein wichtiger Held der Trojaner ist, gilt er später als Urvater Roms und ist deshalb ganz wichtig. Für eine italienische Leserschaft war die Darstellung von Äneas sicher ein toller Punkt, für deutschsprachige Leser ist diese Sequenz eher weniger interessant, da sie weder lustig ist, noch irgendetwas zur Handlung beiträgt.
Kassandra: In der Sage warnt die Priesterin Kassandra die Trojaner vor dem Trojanischen Pferd, ohne dass ihr geglaubt wird. Im Comic wird daraus Professor Zapotek. Pezzin spielt hier mit der Regel, dass künftige Ereignisse von Zeitreisenden nicht erwähnt werden dürfen. Zapotek verletzt die Regel und warnt die Trojaner vor der List des Trojanischen Pferds – aber aus der Sage wissen wir, dass Kassandra nicht geglaubt wird und so ist es auch im Comic mit Professor Zapotek. Diese Passage ist sicher eine derjenigen mit der größten Metaebene, die ihren Witz erst dann erhält, wenn dem Leser die Sage bekannt ist.


Die Griechen werden im Comic fast noch stärker lächerlich gemacht als die Trojaner, besonders Neoptolemos scheint es Pezzin angetan zu haben (siehe unten). Während sie einerseits gewalttätig sind und Micky und Goofy sofort umbringen wollen, werden gerade die kampferprobten Helden wie Ajax verharmlost (Ajax als Leiter der Schwerathletiktruppe klingt eher nach Olympischen Spielen als nach Krieg um eine Stadt).
Agamemnon: Heerführer der Griechen, wird im Comic nur erwähnt.
Menelaos: sein Bruder und Mann der Helena, wird im Comic nur erwähnt.
Neoptolemos: Sohn des Achilles, der nach dem Tod seines Vaters dessen Platz übernimmt. Im Comic nimmt er eine zentrale Rolle ein und wird als Narzisst mit übler Laune gezeigt, der seinen Untergebenen schikaniert. Neoptolemos ist ebenfalls übergewichtig (das scheint Asteriti gefallen zu haben!) und ungeschickt, so rutscht ihm sein nagelneuer "Christianus Diorus"-Helm (Anspielung auf Dior) über die Augen. In der Sage wird er eher als grausam beschrieben und tötet König Priamos am Altar des Zeus.
Philoktetes: wird als Waffenträger des Neoptolemos gezeigt, war aber ein wichtiger griechischer Held und Bogenschütze, der Paris erschießt.
Ajax aus Salamis: meist genannt Ajax der Große, weil er nach Achilles der stärkste Grieche ist. Im Comic betreibt er Schwerathletik, was aber insofern völlig falsch ist, als er zum Zeitpunkt des Falls Trojas schon längst tot ist.
Diomedes: im Comic hackt er einen Baum zu Kleinholz. Er ist auch ein wichtiger griechischer Held, der etliche Abenteuer gemeinsam mit Odysseus besteht. Seine Stärke beweist sich dadurch, dass es ihm gelingt, Ajax bei Wettkämpfen zu besiegen.
Odysseus: Der listenreiche König von Ithaka denkt sich in der Sage die List mit dem Trojanischen Pferd aus. Der Comic behandelt ihn sehr unfreundlich: Odysseus ist ein kindischer Taugenichts, der mit Holzpferden spielt und von diesen herunterstürzt. Warum die Griechen ihn mitgenommen haben, wenn er so unfähig ist, wird nicht erklärt.

4. Historizität des Trojanischen Krieges
Der Comic suggeriert, dass der Trojanische Krieg und der Großteil der Sage (mit ein paar Einschränkungen, siehe oben) tatsächlich stattgefunden hat und zwar um etwa 1200 v. Chr. Das Datum deckt sich mit den Berechnungen antiker Geschichtsschreiber, die ebenfalls fest an die Historizität des Trojanischen Krieges geglaubt haben. Und noch im 19. Jahrhundert glaubte Heinrich Schliemann, dessen Name kurz im Comic erwähnt wird, an den Trojanischen Krieg als festes historisches Ereignis. Schliemann grub 1870 die Stadt in Kleinasien aus, von der heute die meisten Historiker glauben, dass es sich um das antike Troja handelte (es gibt auch Gegenpositionen). Was heute allerdings keiner mehr meint, ist, dass die Sage an sich historische Gegebenheiten schildert. Eine ziemliche Diskussion in der Fachwelt hat sich darum entsponnen, ob es vielleicht einige historische Ereignisse gibt, die der Sage zugrundeliegen könnten, nämlich ein Krieg um das Troja in Kleinasien, der zwischen Griechen und Hethitern, einem Großreich im 15. und 14. Jahrhundert, ausgetragen wurde. Dieser Krieg wird von hethitischen Quellen belegt, die ähnliche Namen wie Troja überliefern, es gibt allerdings auch gute Gründe dagegen, den Krieg auf Troja zu beziehen. Meiner bescheidenen Ansicht nach ist es sinnvoll, einen gewissen historischen Hintergrund als gegeben zu sehen, der die Sage beeinflusst hat, und dieser Hintergrund muss sich auf das Troja in Kleinasien beziehen.


Fazit: Die Geschichte ist die dritte Zeitmaschinengeschichte und auch insofern ein Klassiker, auch wenn sie – da von Asteriti und nicht von De Vita gezeichnet – nicht ganz an die anderen frühen Geschichten anschließen kann. Es war für Pezzin sicher naheliegend, die Trojasage sehr bald zum Thema zu machen. Die Story hat einige Stärken, so versucht sie, den Mythos kritisch neu zu deuten und baut witzige Variationen an, etwa Helena als begnadete Köchin. Die Helden des Trojanischen Kriegs werden fast durch die Bank ins Lächerliche gezogen, die Trojaner sind zudem unfassbar gutgläubig und feiern Gelage (was man nur schwer glauben kann, nachdem sie 10 Jahre Belagerung hinter sich haben). Helena wird mit typisch weiblichen Klischees ausgestattet, die einem heutigen Leser doch etwas aufstoßen. Die Umsetzung des Endes von Troja hat gewisse Diskrepanzen zur Sage, derer man sich bewusst sein sollte. Insgesamt ist die Idee, der Trojanische Krieg sei historisch, so nicht aufrecht zu erhalten. Wenngleich es einen gewissen Hintergrund gegeben haben kann, sind alle Figuren der Sage und Ereignisse klar nicht historisch.
Die Geschichte ist die erste Zeitmaschinen-Geschichte, in der Zeitreisende aus der Vergangenheit etwas in die Gegenwart mitnehmen, in diesem Fall eine Schatzkarte auf Pergament (Pergament gab es übrigens in der Bronzezeit noch nicht, es wurde erst im 2. Jahrhundert v. Chr. erfunden und erst in der Spätantike setzte es sich gegenüber Papyrus als wichtigstem Schreibmaterial durch). Das Pergament altert während der Reise und zerfällt zu Staub. Es ist eine der wenigen Fälle, wo dies derartig logisch umgesetzt wird (eine andere wäre "Das Geheimnis des Panettone").
Bemerkenswert ist ferner die Thematisierung von Gewalt, die überhaupt für frühe Zeitmaschinengeschichten typisch ist (auch in "Attila, der Hunnenkönig" und "Im Reich von Richard Löwenherz" werden die Zeitreisenden beinahe umgebracht). Hier sind Micky und Goofy zum Tode verurteilt und schaffen es gerade noch zu entkommen. Aber auch in Aussagen der Trojaner ("Wer mich weckt, den bring ich um") erkennt man ein stärkeres Gewaltpotenzial.
Insgesamt gehört die Geschichte zwar nicht zu den besten Zeitreisegeschichten, sie ist aber trotzdem empfehlenswert, weil sie auch entscheidend zur Etablierung des Genres beigetragen hat.


Von McDuck (August 2021)



Zuletzt aktualisiert: 02.05.2023, 10:47
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