Im Auftrag Seiner Majestät
Als Kurier des Zaren lebt man gefährlich...
Originaltitel: Topolino corriere dello Zar
Deutscher Titel: Micky als Kurier des Zaren / Kurier des Zaren (Neuauflage)
Seitenanzahl: 63 (3-reihig)
Autor: Gian Giacomo Dalmasso
Zeichner: Giovan Battista Carpi
Erstveröffentlichung: 3. Juli 1966 (Italien, Topolino 553 + 554)
Deutsche Veröffentlichungen:Lustiges Taschenbuch 17, Disneys beste Comics aus Lustige Taschenbücher 8, Lustiges Taschenbuch Sonderedition 2008-1
Homer, Dante, Shakespeare, Goethe... Dass die Großen der Weltliteratur ihren Weg nach Entenhausen gefunden haben, verdanken wir den Italienern. So bildete das Genre der Literaturparodie bereits in der Frühphase des italienischen Disney-Comics einen festen Bestandteil desselben, eine Stellung, welche es fast ein halbes Jahrhundert zu behaupten vermochte. Neben Guido Martina, dem als Initiator fraglos das Hauptverdienst zukommt, gilt es unter den zahlreichen Künstlern, die zu diesem Erfolg beigetragen haben, insbesondere Gian Giacomo Dalmasso und Giovan Battista Carpi hervorzuheben. Immerhin war dem Duo bereits eine humorvolle Hamletparodie gelungen, als es sich 1966 an einer Adaption von Jules Vernes Roman Michel Strogoff (Der Kurier des Zaren) versuchte. Das Ergebnis dieser Zusammenarbeit ist dabei weitaus mehr als eine bloße Hommage an das Werk des französischen Schriftstellers, auf dessen Spuren in der Folge noch manch anderer Disney-Künstler wandeln sollte. Es ist ein Comic-Klassiker eigenen Rechts, mit dem es sich auch 45 Jahre nach seiner Entstehung noch zu beschäftigen lohnt.
Den Rahmen der Geschichte bildet das klassische Motiv des Traumes: Von Minnis telefonischer Nacherzählung des Romans Der Kurier des Zaren eingelullt, verfällt Micky in einen tiefen Schlummer, der ihn in die Welt des zaristischen Russlands entführt. Dort bahnt sich eine Krise an: Ein zu den feindlichen Tataren übergelaufener Oberst namens Plattnasereff plant, das Vertrauen des Großfürsten von Ostsibirien und damit Einsicht in die militärischen Pläne der Russen zu gewinnen. Um dies zu verhindern, beauftragt der Zar seinen besten Offizier, Michael Mausoff, mit der Mission, inkognito nach Irkutsk zu reisen und den Großfürsten zu warnen.
Auf der beschwerlichen Reise muss sich Mausoff dabei nicht nur mehrerer von Plattnasereff ausgeübter Anschläge auf sein Leben erwehren, auch seine ihn gegen seinen Willen begleitende Freundin Minuschka bringt ihn durch ihre geschwätzige Sorglosigkeit wiederholt in Schwierigkeiten. Als er zwischen Perm und Omsk in einen Hinterhalt der Tataren gerät und bei seinem Fluchtversuch in einen Abgrund stürzt, drohen Auftrag und Leben des Helden ein jähes Ende zu nehmen...
Aus die Maus. Oder?
Wenngleich Dalmasso der Grundkonstellation und dem groben Handlungsgerüst der Romanvorlage weitgehend treu bleibt, fallen dennoch einige Abweichungen ins Auge. Diese sind insbesondere den markanten Unterschieden auf der Figurenebene geschuldet: So wurden mit den beiden Journalisten Blount und Jolivet sowie der Mutter Michel Strogoffs gleich drei wichtige Charaktere ersatzlos gestrichen. Dies hat unter anderem zur Folge, dass Dalmasso die Schlüsselszene der versuchten Blendung des Helden umschreiben muss, wobei er eine der Parodie angemessene heitere Lösung findet. Während Verne seinen Leser zudem lange Zeit in dem Glauben belässt, dass die Hauptfigur tatsächlich erblindet ist, erspart uns der Comic diese unschöne Vorstellung, verschenkt dadurch aber zugleich einen Teil des im Original angelegten Spannungspotenzials. Grundlegend anders gestaltet sich nicht zuletzt auch die Beziehung zwischen dem Helden und seiner Herzensdame. Während Strogoff seine Nadia erst auf der Reise kennen lernt, sind Michael Mausoff und Minuschka von vornherein liiert. Von einer Romanze kann daher nur bedingt die Rede sein, zumal Minuschka anfangs vor allem als lästiges Sicherheitsrisiko in Erscheinung tritt.
Im Einklang mit dem Original befindet sich hingegen die Wahl der Hauptfigur: Dem sich bekanntermaßen durch Mut und Tugendhaftigkeit auszeichnenden Micky ist die Rolle des Kuriers wie auf den Leib geschneidert. Er verkörpert einen Helden klassischer Prägung, dessen Sorge selbst im Angesicht des Todes einzig seiner Liebsten gilt.
Das sind übrigens die Bösen!
Ohnehin zeichnet sich Dalmassos Adaption dadurch aus, die Dramatik des Geschehens unentwegt ins Komische zu überführen. Pathetisch aufgeladene Motive, wie die Liebe fürs Vaterland, werden allenfalls augenzwinkernd zitiert, politische Entscheidungsträger zu Witzfiguren degradiert und die ausgeprägte Gewaltsamkeit auf spielerische Weise abgeschwächt. Obwohl er seinen Stoff scheinbar banalisiert, zeichnet sich der Comic durch eine authentische Atmosphäre und ein rasantes Tempo aus. Dies ist vor allem dem Artwork Carpis zu verdanken, dem es meisterhaft gelingt, zwischen einer realistischen Umsetzung des historischen Settings und einer überzeichneten Darstellung der Handlung die Balance zu halten. Das durch packende Actionsequenzen orchestrierte Geschehen büßt dabei nie an Dynamik ein, was nicht nur auf Carpis prägnante Visualisierung von Emotionalität, sondern auch auf seinen gezielten Umgang mit Splashpanels zurückzuführen ist, die es ihm erlauben, erzählerische Wende- und Höhepunkte graphisch hervorzuheben.
Der war gut!
Es soll abschließend nicht unerwähnt bleiben, dass Vernes Abenteuerroman knapp drei Jahrzehnte später erneut als Vorlage eines Disney-Comics diente. Aus dem Hause Egmont erschien 1995 die ebenfalls im dreireihigen Format umgesetzte Geschichte "Donaldoff, Kurier des Zaren". Der von Koala geschriebene und von Manrique gezeichnete Comic unterscheidet sich von seinem italienischen Vorgänger vor allem in der Wahl der Hauptfigur: Dass nicht Micky, sondern der als klassischer Held eher ungeeignete Donald durch Sibirien geschickt wird, wirkt sich natürlich auf den Handlungsverlauf aus und führt dazu, dass der Akzent in noch stärkerem Maße auf der Komik des Geschehens liegt. So trägt die schon bei Dalmasso und Carpi karikierte Blendungsszene hier die Züge einer Zirkusnummer.
Obwohl sich die Egmont-Version von der ursprünglich dramatischen Grundstimmung demnach in noch stärkerem Maße entfernt, ist sie in anderen Punkten deutlich enger an der Romanvorlage orientiert. Woran sich eine Literaturparodie jedoch letztendlich messen lassen muss, ist weniger der Grad ihrer Werktreue als die Frage, ob es ihr gelungen ist, den Leser für das Original zu interessieren – eine Herausforderung, die Dalmasso und Carpi mit Bravour gemeistert haben.
Temporeiche und witzige Literaturadaption – Verne hätte sich bestimmt amüsiert!
Von Kopekobert Dukofjew (Mai 2011)
Zuletzt aktualisiert: 01.05.2023, 14:57