Im Stile Gottfredsons
Storycode: I TL 274-AP
Das auslösende Ereignis der Handlung: Die Teilung des Vertrags
Deutscher Titel: Micky als Kaiser von Quacktanien / Kaiser von Quacktanien (Neuauflage)
Seitenanzahl: 69 (3-reihig)
Autor: Romano Scarpa
Zeichner: Romano Scarpa (Bleistift), Rodolfo Cimino (Tusche)
Erstveröffentlichung: 26. Februar 1961
Deutsche Veröffentlichungen: Lustiges Taschenbuch 11
Erinnert man sich an fantastische Maus-Geschichten des großen Romano Scarpa zurück, fallen da den meisten vermutlich zunächst einmal großartige Klassiker wie "Micky und die vierte Dimension", "Micky und die Irokesenkette" oder "Das doppelte Geheimnis des Schwarzen Phantoms" ein. "Micky als Kaiser von Quacktanien" ist in solchen Aufzählungen hingegen eher selten vertreten – zu Unrecht, denn es handelt sich um einen von Scarpas großartigsten Disney-Comics überhaupt!
Anno 1883 – Der Staatsminister H.B. Schiel zieht mit zwei Soldaten, einem Fotoreporter und einem Gefangenen durch die Wüste von Quacktanien. Der Gefangene nennt sich Kid-Micky – ein berühmt berüchtigter Bandit, der nicht nur eine Trompete als Markenzeichen hat, sondern auch, wer hätte es gedacht, verblüffende Ähnlichkeiten mit Micky aufweist.
Als Kid-Micky feststellt, dass Indianer im Anmarsch und nur noch wenige Kilometer entfernt sind, macht sich bei seinen Bewachern Panik breit. Der Trupp verschanzt sich daraufhin in einer Grotte, deren Ausgang jedoch nur Kid-Micky kennt. Als Gegenleistung verlangt er nicht etwa nur seine Freiheit, sondern nicht mehr und nicht weniger als die Kaiserschaft über ganz Quacktanien. Der misslichen Situation geschuldet, willigt der Staatsminister ein, unterschreibt einen entsprechenden Vertrag und reißt ihn in zwei Hälften. Die eine überreicht er Kid-Micky schon jetzt, die andere soll er bekommen, wenn sie außer Gefahr sind. Als die Eskorte dann tatsächlich in Sicherheit und die Stadt Phantom-City (das spätere Entenhausen) erreicht ist, will der Staatsminister wie vereinbart Kid-Micky die andere Vertragshälfte aushändigen. Doch obwohl er sich bis auf sein letztes Hemd entkleidet, kann der Minister die Hälfte einfach nicht mehr finden, sodass Kid-Micky die Kaiserschaft über Quacktanien letztendlich doch verwehrt bleibt.
Micky unter Verdacht
Wie für Scarpa in seinem Frühwerk aus den 50ern und 60ern üblich, ist die Handlung sehr komplex und lässt den Leser bis zum Ende hin nicht durchschauen, was genau gespielt wird. Scheinbar im Widerspruch dazu steht aber die Tatsache, dass es eigentlich sogar mehrere Andeutungen auf den Fortgang der Handlung gibt – so kann man schon etwa bei der Hälfte der Geschichte erahnen, wer hier der geheimnisvolle Doppelgänger und Betrüger ist. Wird die Geschichte dadurch langweilig? Nein, im Gegenteil: Durch die Dichte an Ereignissen fallen die mehr oder wenigen subtilen Andeutungen gar nicht so ins Auge, geschweige denn, dass sie großartig in Erinnerung bleiben. Der Leser hat also quasi gar keine Zeit, die Story überhaupt zu durchschauen und weiß deshalb nie, was als nächstes passiert. Erst am Ende der Handlung fügen sich Micky und somit auch dem Leser alle Puzzle-Stücke zusammen.
Atömchens Wunder lockern die Story auf
"Fehlbarkeit" ist auch bei Mickys Charaktersierung genau das richtige Stichwort – das wird vor allem am Ende der Geschichte deutlich, nachdem der Betrüger schon geschnappt und in Gewahrsam genommen ist. Mit der Frage, ob Micky nun tatsächlich der Kaiser von Quacktanien ist, wird die Spannung weiter hochgehalten. An dieser Stelle muss man besonders die Zeichnungen hervorheben: Wie es Scarpa hier schafft, die Gedanken Mickys und die damit verbundene Euphorie in sein Gesicht zu schreiben bzw. zu zeichnen, ist schlicht grandios. Inhaltlich wird mit dieser Passage dagegen deutlich, dass Micky nicht der perfekte Typ ist, der am Ende dann doch immer gewinnt. Stattdessen verfällt er hier einer scheinbar grenzenlosen Macht-Euphorie, um dann letztendlich aber umso stärker auf die Schnauze zu fallen (weshalb, soll an dieser Stelle aber nicht auch noch verraten werden).
Die Euphorie, der Machthunger, das Scheitern. Mit diesen drei Eigenschaften Mickys vermittelt Scarpa einen emotionsgeladenen, teilweise eigensinnigen, aber gerade dadurch auch sympathischen Zeitgenossen. Von dem Bild des kühlen, berechnenden Ermittlers wie in vielen anderen Geschichten wird dagegen Abstand genommen. Schließlich hätte die Geschichte zum Beispiel auch so ausgehen können, dass Micky die Krone einfach verweigert hätte. Dieses Ende hätte zwar die Größe und Selbstlosigkeit von Micky hervorgehoben, allerdings wäre hier nun mal nicht diese Menschlichkeit zum Vorschein gekommen, die in der Maus steckt. Insofern wirkt Scarpa mit "Micky als Kaiser von Quacktanien" einmal mehr dem von Micky-Kritikern üblichen Vorwurf der Unnahbarkeit entgegen.
Micky im Überschwang der Macht
Die Pointe am Schluss mit Minni erinnert ein wenig an das Ende vieler Gottfredson-Klassiker: Ein großes und langes Abenteuer wird mit einem kleinen, aber wirklich guten Gag abgeschlossen und somit perfekt abgerundet – anders als in vielen italienischen Geschichten, in denen Goofy am Ende einen dämlichen Kommentar abgibt und Micky dann mit dem obligatorischen "Oh, Goofy! Hahaha!" den Schlusspunkt setzt.
Der langen Rede kurzer Sinn: Ein fantastischer und unterschätzter Klassiker von Scarpa, der nicht nur in der eben angesprochenen Schluss-Szene sondern auch in der Charakterisierung von Micky an die großen Klassiker von Floyd Gottfredson erinnert. Durch die Anreicherung mit für ihn typischen Szenen (bzw. durch das Auftreten Atömchens) zeigt Scarpa jedoch, dass er nicht einfach ein Doppelgänger, sondern ein Erbe Gottfredsons war, der seine Geschichten stets auch mit einer individuellen Note anreicherte. Insofern ist "Micky als Kaiser von Quacktanien" ein Musterbeispiel dafür, dass Scarpa den Geist seines Vorbilds Floyd Gottfredson eingefangen und daran anknüpfend eigene, großartige Werke wie dieses geschaffen hat. Uneingeschränkte Leseempfehlung!
Von 313er (Januar 2011)
Zuletzt aktualisiert: 01.05.2023, 15:02